Behandlung im Wandel Antihormonelle und zielgerichtete Therapie bei Brustkrebs
In unserem Körper werden permanent Zellen abgebaut und durch neue Zellen ersetzt. Diese neuen Zellen entstehen durch Zellteilung. In der weiblichen Brust wird dieser streng geregelte Prozess im Wesentlichen von den Hormonen Östrogen und Progesteron gesteuert. Sie geben den Zellen die notwendigen Signale, dass sie sich teilen sollen. Dafür befinden sich auf den Zellen spezielle Antennen, die die Hormone auffangen können.
Mediziner nennen diese Antennen Rezeptoren. Dockt ein Hormon an die Antenne an, wird ein Wachstumssignal in die Zelle weitergegeben: Die Zelle teilt sich.
Antennen suchen und finden
Bei diesen immer wiederkehrenden Zellteilungen können immer wieder Fehler, sogenannte Mutationen, auftreten. Normalerweise werden fehlerhafte Zellen vom Immunsystem erkannt und unschädlich gemacht. Bleiben sie aber unentdeckt, kann Krebs entstehen. Diese Krebszellen entstehen aus gesunden Zellen der Brust und behalten die meisten Eigenschaften der ursprünglichen Zellen bei. Daher haben etwa 70 Prozent der Frauen mit Brustkrebs die Antennen für Östrogen oder Progesteron auf der Zelloberfläche des Tumors.
Dies ist bei etwa zwei Dritteln der Patientinnen mit bösartigen Brusttumoren der Fall. Gegen diesen sogenannten Hormonrezeptor-positiven Brustkrebs können oft weitere unterstützende, auch adjuvante, Therapiemöglichkeiten ergriffen werden. Zum einen können die Rezeptoren mit einem Anti-Östrogen auf den Krebszellen so blockiert werden, dass die Hormone nicht mehr andocken können und damit kein Wachstumssignal ins Zellinnere gelangt. Zum anderen kann die Produktion von Östrogen mit Medikamenten herabgesetzt werden und so die Wachstumssignale unterdrücken. Diese Therapieansätze bezeichnen Fachleute als Anti-Hormontherapie.
Alles zu seiner Zeit
Die Anti-Hormontherapie wird meist nach einer Operation, einer Chemo- und/oder Strahlentherapie eingesetzt und dauert zwischen fünf und zehn Jahren. Die Entscheidung über die Art und Weise der Anti-Hormontherapie hängt von vielen Faktoren ab. Die wichtigsten sind das Alter, der Stand in Bezug auf die Wechseljahre, das Stadium der Erkrankung und die Lebensplanung der Patientin. „Welche Therapie gewählt wird, kann nicht pauschal gesagt werden“, erläutert Dr. Martina Negwer, Oberärztin im Brustzentrum Reutlingen, Klinikum am Steinenberg. „Uns stehen für diese Behandlungen eine Vielzahl von Optionen zur Verfügung. So können die Frauen sicher sein, eine gute und individuelle Therapie zu erhalten.“
Die Unterschiede erkennen und nutzen
Generell entstehen Krebszellen aus körpereigenen Zellen. Sie teilen sich völlig ungehemmt und sind für das Immunsystem meist unsichtbar. Während gesunde Zellen teilweise sterben und durch neue ersetzt werden, sterben Krebszellen nicht oder sehr viel später als gesunde Zellen ab.
So kann der Krebs immer weiter wachsen. Auf dem Weg von der gesunden zur Krebszelle verändert sich die Krebszelle und unterscheidet sich damit von einer gesunden Zelle. Wissenschaftler sind ständig auf der Suche nach diesen Unterschieden oder Mutationen. Sie sind der Angriffspunkt für neue Medikamente, die nur die kranken Zellen erreichen und abtöten sollen. Diese Therapien werden als sogenannte zielgerichtete Therapien bezeichnet.
Einfallstore für Medikamente
Ein wichtiges Einfallstor für zielgerichtete Therapien bei Brustkrebs ist der sogenannte HER2-Rezeptor, der auf der Oberfläche von Zellen des Brustgewebes zu finden ist. HER2 ist eine englische Abkürzung und bedeutet sinngemäß: menschlicher, auf der Oberfläche der Zelle angesiedelter Wachstumsfaktor-Rezeptor mit der Nummer 2. Docken an diese Rezeptoren bestimmte körpereigene Botenstoffe an, wird eine Signalkette in das Innere der Zelle ausgelöst und die Zelle beginnt zu wachsen und sich zu teilen. Eine gesunde Zelle hat nur wenige Rezeptoren auf der Oberfläche.
Neue Medikamente unterbrechen die Signalketten des Tumors
Bei etwa jeder fünften Frau mit Brustkrebs sind auf den Brustkrebszellen jedoch sehr viele Rezeptoren zu finden. Dies bedeutet, dass die Krebszellen viele Wachstumssignale bekommen und der Tumor schnell wächst. „Heute stehen uns vier Medikamente mit zum Teil sehr unterschiedlichen Wirksystemen zur Verfügung, die Wachstumssignale unterdrücken“, so die Ansicht von Dr. Negwer. „Die einen blockieren die Wachstumsfaktoren, sodass die Botenstoffe nicht andocken können.“
Andere unterbrechen die Signalkette in die Zelle hinein und verhindern so wiederum, dass die Zellen sich vermehren können. „Ganz raffiniert ist ein neues Prinzip“, erklärt Dr. Martina Negwer. „Das Medikament nimmt das Zellgift gegen den Brustkrebs huckepack.“
Der Körper wird geschont
Das Besondere ist, dass das Gift im Prinzip erst dann und nur auf die Brustkrebszellen wirkt, wenn das Medikament an den Wachstumsfaktor auf der Zelloberfläche angedockt hat. Dr. Negwer: „Auf diese Weise wird der Rest des Körpers geschont und gleichzeitig werden aber auch kleine, oft unentdeckte, Absiedelungen mit bekämpft. Wie und in welcher Kombination die Medikamente eingesetzt werden, hängt von sehr vielen Faktoren ab und wird in jedem Fall neu abgewogen.“