Hirntumor Arzt als Patient – Das Fremde in mir ...

Autor: MPL-Redaktion

Auch wenn die Diagnose noch so dramatisch klingt – es gibt immer einen Weg der Hoffnung. © Tryfonov – stock.adobe.com

Dies ist die authentische Geschichte des Neurologen Dr. Klaus Scheidtmann, der durch seinen Hirntumor die andere Seite der Medizin kennengelernt hat. Er stellt nach seiner Genesung fest: „Wichtig sind meine Emotionen in dieser schweren Zeit. Ich möchte mit meinem Buch zwei Faktoren hervorheben, die für Patienten besonders wichtig sind: Ihre Entscheidungsfähigkeit, den richtigen Ärzten zu vertrauen. Und das Horchen auf ihr Bauchgefühl – zwei wichtige Pfeiler der Genesung.“

Mediziner haben eine ganz besondere Art mit Krankheit umzugehen: Sie sind Meister des Verdrängens. Besonders gilt dies im Falle eines Hirntumors, der auch auf die Persönlichkeit Einfluss nimmt oder diese verändert und bei dem der Betroffene dies nicht realisiert. Ich als Neurologe weiß um diese Veränderungen bei meinen Patienten. Betrifft es jedoch einen selbst, nimmt man es nicht wahr. Als ich erkrankte, hatte ich oft Streit mit meiner Frau. Sie nörgelte immer an mir herum, ich verstand nicht, warum. Irgendwann ließ ich mich dann untersuchen.

Die Kernspintomographie zeigte, was sich in meinem Gehirn befand: ein faustgroßer runder Tumor, direkt hinter der Stirn! Der Radiologe sprach von einem Gliom (bösartiger Hirntumor), was einem Todesurteil gleich kam. Dieser Tumor war der Grund meiner Persönlichkeitsveränderung, unter der meine Frau und die ganze Familie seit geraumer Zeit litten. Zu diesem Zeitpunkt war ich 47 Jahre alt. Ich fühlte mich macht- und kraftlos. Nun wurde meine Frau die größte Kraft an meiner Seite.

Ich merkte: alles funktioniert

Nach der Operation war ich erstaunt über meine Physis und Psyche: Ich lag im Aufwachraum der Uniklinik und konnte mich normal bewegen, denken und erinnern. Was hätte alles schiefgehen können. Eine Operation am Gehirn! Ein kleiner Fehlschnitt des Chirurgen könnte mein ganzes Leben verändern. Bei einer Blutung im Gehirn gehen ganze Regionen zugrunde. Diese sind für die Bewegung, die Sprache oder auch die Persönlichkeit verantwortlich. Schlimmstenfalls hätte ich mit schweren Beeinträchtigungen aufwachen können. Wie glücklich, ja fast euphorisch fühlte ich mich da, als ich merkte: alles funktioniert. Natürlich habe ich sofort an mir selbst die für mich machbaren neurologischen Untersuchungen ausgeführt.

Man unterbreitete mir, dass noch eine Bestrahlung notwendig sei. Die Strahlentherapie erfolgte in vielen kurzen Sitzungen. Dabei konnte ich alles tun und lassen, was ich wollte: mich mit meiner Erkrankung auseinandersetzen, Sport treiben. Dies habe ich genossen. Besonders an der Seite meiner Familie.

Und nochmals den Kopf hinhalten

Die routinemäßigen Nachuntersuchungen des Kopfes zeigten im Juli des darauffolgenden Jahres eine weitere Raumforderung am zentralen Blutabflussleiter des Kop­fes. Verdacht auf ein Rezidiv! Dies bedeutete für mich, dass ich mich nochmals einer Operation unterziehen musste. Im Anschluss wurde mir eine nochmalige Bestrahlung empfohlen. Danach rappelte ich mich wieder auf und ging arbeiten, schließlich war ich Chefarzt einer Klinik. Während der Erkrankung ging ich meiner Arbeit nach, ich erhielt viel Rückhalt von den Kollegen.

Alles wird gut...?

Zum Jahreswechsel erlitt ich einen epileptischen Anfall. Die anschließende Untersuchung in der nahe gelegenen Klinik zeigte wiederum ein Rezidiv, ich sollte nochmals operiert werden. Ich war zu Hause, zwei Monate musste ich auf den Termin zur Operation warten. Zwischenzeitlich war ich sogar halbseitig gelähmt. Ich nahm in dieser Zeit Beruhigungsmittel, um diesen Zustand zu ertragen. Nach der Operation ging es mir relativ schnell körperlich wieder gut, sodass ich schon bald wieder meine Kondition im Treppenhaus des Krankenhauses trainierte. Die Euphorie wie nach der ersten OP blieb aus, zu viel Kraft hatte all das, was hinter mir lag, schon gekostet, jedoch fühlte ich eine große Erleichterung. Auch die Lähmung war wieder verschwunden.

Erleichterung

Schlussendlich geht meine Geschichte gut aus, denn ich lebe noch! Während der Zeit meiner Erkrankung waren mir meine Frau und meine Familie sehr nahe. Ich konnte mich fallen lassen, ohne dass Bedingungen gestellt wurden. Dies ist, so meine ganz persönliche Erfahrung, für Patienten ein unschätzbares Gut! Mir selbst war vorher nicht klar gewesen, welche unglaubliche Energieleistung ein erkrankter Mensch vollbringen kann, wenn er seinen Überlebenswillen monilisiert – diese Leistung hätte ich mir so früher gar nicht zugetraut. Und geholfen hat mir auch der Glaube. Frei nach Dietrich Bonhoeffer: Auch deshalb war meine Psyche „von guten Mächten wunderbar geborgen“.

Seitenwechsel: Ein Arzt spricht von seiner Krebserkrankung

Lassen Sie sich ein auf einen Seitenwechsel der ganz besonderen Art, denn hier erlebt ein Arzt eine ihm vertraute Erkrankung selbst. Dadurch wird der Blickwinkel verändert und auch der Sinn für Empathie geschärft.

Klöpfer, Narr Verlag
Preis: 24 Euro
ISBN: 978-3-7496-1032-7


Dr. Klaus Scheidtmann © Martina Bohner