Brustkrebs Eine Ärztin als Krebspatientin – Ich war von mir enttäuscht
Ich wuchs wohlbehütet auf. Gemeinsam mit meinen zwei Schwestern erlebte ich eine schöne Kindheit. In der Schule lief alles gut und das Medizinstudium in Hannover bereitete mir keine größeren Probleme. Ich heiratete früh und bekam zwei wunderbare Kinder. Ich lebte gesund, trieb Sport, achtete auf mich. Mein Leben war perfekt – bis zu dem Tag der Diagnose.
Es war ein Donnerstag. Ich hatte frei, der Tag war verplant mit schönen Dingen: Mittagessen bei einer Freundin, danach shoppen, schwimmen und einkaufen für das gemeinsame Abendessen mit der Familie. Es sollte Zander geben, mit Gratin und Senfsauce. Nur vor alledem hatte ich noch einen Routinetermin bei meiner Frauenärztin. Es handelte sich um die jährliche Brustkrebsvorsorgeuntersuchung. Ich stand pünktlich im Wartezimmer, schließlich wollte ich meine Freundin nicht warten lassen. Kurz darauf begannen die bekannten Untersuchungen. Beim Abtasten meiner Brust stellte die Ärztin nichts fest. Das hätte mich auch gewundert, führte ich doch diese Untersuchung regelmäßig an mir selbst durch. Dann kam die Mammographie. Und kurze Zeit später das abschließende Gespräch. Ich war verwundert, dass meine Ärztin meine Brust erneut abtasten wollte. Dachte in den ersten Sekunden überhaupt nicht darüber nach, was sie dazu veranlasst haben könnte. Doch schnell traf es mich wie ein Schlag in den Magen: Sie hatte etwas auf dem Röntgenbild entdeckt. Ein Geschwulst, das man nicht so leicht ertasten konnte. Und so war es.
Ich war verwirrt
Mein erster Gedanke lautete: Jetzt ist mein schöner Tag ruiniert. Was für ein Unsinn, im Nachhinein betrachtet. Schließlich ging es ja um viel mehr. Ich konnte anfangs einfach keinen klaren Gedanken fassen. Ich hatte Angst. Nicht etwa davor zu sterben, sondern vor der Reaktion meiner geliebten Familie. Mir schossen weitere, weitreichende Gedanken durch den Kopf, bei denen es sich um die Frage meiner Existenz drehte. Und im selben Augenblick fragte ich mich, mit welcher Begründung ich meiner Freundin das gemeinsame Mittagessen absagen sollte. Dann stellte ich mir die Gesichter meiner Kinder vor. Mich packte sofort eine tiefe Traurigkeit. Und dann dachte ich plötzlich an den geplanten Urlaub in neun Monaten.
Erst meine Ärztin befreite mich aus meiner Verwirrtheit. Wir kannten uns schon lange und sie merkte, dass ich völlig überfordert war. Sie gab mir den Rat, sofort meinen Mann auf der Arbeit anzurufen. Er würde am ehesten in der Lage sein, mich zu beruhigen. Das stimmte natürlich. Und darauf hätte ich natürlich selber kommen müssen. Nur war es bisher unüblich, ihn in seiner Firma anzurufen. Er war nämlich aufgrund seines verantwortungsvollen Jobs tagsüber schlecht zu erreichen. Also hatte ich ihn nicht auf dem Schirm.
Er kam sofort. Seine feste Umarmung spendete mir Trost. Dann fing ich an zu weinen – und er weinte mit. So standen wir eine ganze Weile da. Er fragte mich schließlich, wie es nun weitergeht und wie schlimm die Diagnose sei. Antworten darauf kamen erst in den folgenden Tagen: Die Untersuchungen sollten zeigen, wie schlimm mein Brustkrebs war. Ich fühlte mich schwach in dieser Zeit, konnte nicht schlafen und dachte dauernd über meine Kinder nach. Das zerriss mich innerlich. Gesagt hatten wir ihnen noch nichts. Wir wollten erst die genauen Ergebnisse abwarten. Und dann saßen wir im Wartebereich der Klinik. Unmittelbar nachdem wir aufgerufen wurden, hatte ich einen leichten Kreislaufzusammenbruch. Mein Mann musste mich stützen – so ging ich ins Besprechungszimmer. Die Diagnose lautete Brustkrebs im Stadium zwei. Es hätte schlimmer kommen können.
Die Kinder taten mir leid
Als wir wieder zu Hause waren, erzählten wir alles unseren Kindern. Erwartungsgemäß machten sie sich sofort große Sorgen. Ich versuchte stark zu sein, doch das gelang mir leider nicht. Der ängstliche Blick meiner Kinder trieb mir die Tränen in die Augen. Genau das wollte ich vermeiden, um Stärke und Zuversicht zu demonstrieren. Ich erreichte eher das Gegenteil. Auch meine anschließenden Erläuterungen und Prognosen halfen nicht viel. Es war schlimm. Meine Kinder taten mir so leid. Und wenn ich heute an diesen Abend zurückdenke, kommen mir immer noch fast die Tränen.
Einige Tage später wurde ich operiert. Das überstand ich gut und war schnell wieder auf den Beinen. Die Chemotherapie hingegen machte mir stärker zu schaffen. Der behandelnde Onkologe sagte mir, das sei ein gutes Zeichen. Die Medikamente wirkten. Ich kämpfte. Und nach einigen Monaten war alles vorbei.
Ich hatte einige Kilos abgenommen, daran war die Chemo schuld. Doch ich kam recht schnell wieder zu Kräften. Fühlte mich körperlich schon wieder gesund. Von da an war ich das erste Mal in der Lage, mich sachlich mit meiner Situation auseinandersetzen zu können. So, wie es sich für eine Ärztin gehört. Und an dieser Stelle muss ich zugeben, dass mir meine medizinischen Kenntnisse bei der Bewältigung der ersten Monate nicht halfen. Ich bekam meine Emotionen nie in den Griff. Manchmal versuchte ich, die Erkrankung fachlich zu betrachten, um so etwas souveräner damit umgehen zu können. Aber es gelang mir einfach nicht. Rückblickend bin ich diesbezüglich von mir enttäuscht. Denn eigentlich war das alles keine große Sache. Ich will die Krankheit nicht verharmlosen, aber die OP war ein Klacks und die Chemo sicherlich recht anstrengend, aber auch kein großes Drama. Die onkologische Medizin ist heutzutage so weit fortgeschritten, dass die Diagnose Krebs nicht mehr den Schrecken verbreiten sollte wie noch vor 20 Jahren.