Patientengruppen Selbsthilfe auf Studienfahrt

Autor: Heiko Schwöbel

Informieren, Hoffung vermitteln und zeigen, dass auch mit Krebs ein lebenswertes, zufriedenes Leben möglich ist. So lautet das Motto der Gruppe aus Sigmaringen. © iStock/firina

Das Motto der Selbsthilfe für Menschen mit Krebs und ihre Angehörigen in Sigmaringen ist einfach: „Wir wollen informieren, Hoffnung vermitteln und durch unser persönliches Beispiel zeigen, dass auch mit Krebs ein lebenswertes, zufriedenes Leben möglich ist.“ Lesen Sie in Perspektive LEBEN, wie dieses Motto auf einer Studienfahrt umgesetzt wird.

Am 13. Mai ist es soweit: Etwa 40 Frauen und ein Mann machen sich mit dem Reisebus auf den Weg nach Radebeul. „Dabei gilt: Der Weg ist schon das Ziel“, so Evi Clus, Vorstand der Psychosozialen Krebsberatung Sigmaringen e.V. und Leiterin der Selbsthilfe für Menschen mit Krebs und ihre Angehörigen in Sigmaringen. „Denn schon auf der Fahrt werden wichtige Informationen und Gedanken ausgetauscht.“

Ein Blick in die Runde zeigt, wie bunt gemischt die Gruppe ist: Jung und alt, Patienten, die akut behandelt werden, tauschen sich mit Frauen aus, deren Krankheit schon lange zurückliegt. Sie alle finden sich hier zusammen, um sich gegenseitig zu stützen.

Am nächstem Morgen, pünktlich um 9 Uhr, beginnt Dr. Mario Marx, Chefarzt und Standortleiter Radebeul des Regionalen Brustzentrums Dresden, einen Fachvortrag zu der „neuen operativen Therapie des Lymphödems der Arme nach Behandlung von Brustkrebs.“

Erfahrungen aus erster Hand

Doch bevor Dr. Marx seinen Vortrag beginnt, lässt er eine Patientin zu Wort kommen. Sabine A. aus Dresden, 54 Jahre alt, wurde vor etwa sechs Wochen mit der neuen Methode aufgrund ihres Lymphödems operiert. Sie spricht kurz über Operation, Chemotherapie und Bestrahlung im Rahmen der Krebstherapie – im Prinzip hat sie die Behandlungen gut vertragen. Allerdings bildet sich schon bald im rechten Arm ein ständig zunehmendes Lymphödem. Trotz intensiver Behandlung mit manueller Lymphdrainage und Kompressionen werden die Beschwerden immer schlimmer. Mit der Zeit kann sie alltägliche Arbeiten fast nicht mehr verrichten. Auch an Fahrradfahren ist nicht mehr zu denken.

Heute, sieben Wochen nach dem Eingriff, ist die Schwellung fast völlig zurückgegangen. „Schon kurz nach der Operation habe ich einen Schreck bekommen“, sagt Sabine A. „Meine Hand erscheint plötzlich ganz blau. Rasch erkannte ich, dass ich meine Adern an den Händen wieder durchscheinen sah.“ Inzwischen kann Sabine A. fast alles wieder so wie vor der Krebsbehandlung mit dem Arm und der Hand ausführen. Die Zuhörer sind sichtlich beeindruckt und gespannt zu erfahren, wie das möglich ist.

Komplikationen fachgerecht begegnen

Fast alle Zellen in unserem Körper sind von einer Flüssigkeit, der sogenannten Lymphe, umgeben. Mit ihr werden Nährstoffe zu den Zellen gebracht und Abfallstoffe abtransportiert. Dafür geben Blutgefäße an ihren feinen Enden Nährstoffe in die Lymphe ab, die von den Zellen aufgenommen werden. Die Abfallstoffe werden von den Zellen in die Lymphe abgegeben und über Blutgefäße und Lymphsystem abtransportiert, abgebaut und letztlich oberhalb des Bauchraumes in den Blutkreislauf eingeleitet.

Kommt es durch Operation oder Bestrahlung zu Störungen in diesem System, staut sich die Lymphflüssigkeit und der Arm schwillt an. Diese Störungen können durch den sogenannten Gewebeverlust ausgelöst werden, der durch die Operation des Tumors und der Lymphknoten entsteht. Die meisten Beschwerden können mit der sogenannten komplexen physikalischen Entstauung im Griff behalten werden. Sie setzt auf die Wechselwirkung der manuellen Lymphdrainage und Kompressionsbandagen. In einigen Fällen kann der Stau jedoch nicht beseitigt werden. Dann müssen einzelne körpereigene Lymphknoten und -bahnen in sehr aufwendigen Operationen transplantiert werden.

Eine neue Behandlungsmethode

Dr. Marx geht einen anderen Weg: Mit einem neuen Operationsverfahren werden zunächst die durch Operation und Bestrahlung entstandenen Narbenstrukturen in der operierten Achselhöhle mikrochirurgisch entfernt – hierdurch entsteht ein Verlust an Gewebe. Ausgeglichen wird dies anschließend unter Ultraschallsicht, indem von der Brustwand umgeschlagenes Lymph- und Fettgewebe inklusive funktionstüchtigen Arterien und Venen in die Achsel gebracht wird. Dadurch kann der gestörte Lymph­abfluss wiederhergestellt werden.

Schon Stunden nach der Operation spüren die Patienten, dass die Stauung zurückgeht. „Alle Patientinnen berichten wenige Tage nach der Operation, dass sich die Beschwerden verringerten oder ganz verschwanden“, berichtet der Experte. „In Studien mit der Universitäts-Frauenklinik in Tübingen werden die Wirkmechanismen weiter erforscht und die weiteren Einsatzmöglichkeiten untersucht.“

Die Mischung macht den Wert solcher Reisen aus

Nach dem Fachvortrag machen die Besucher noch einen Rundgang durch die Klinik, stellen viele Fragen und lassen sich informieren. Für den Nachmittag hat die Gruppe eine Stadtrundfahrt in Dresden geplant. „Die Mischung aus Fachinformation und Kultur macht den Wert solcher Reisen aus“, betont Evi Clus. „Wir profitieren gegenseitig von den jeweiligen Erfahrungen, informieren uns über aktuelle Themen zu Krebs, machen Besichtigungen und die Geselligkeit kommt dabei auch nicht zu kurz.“


Evi Clus, Vorstand der Psychosozialen Krebsberatung Sigmaringen e.V.; Leitung der Selbsthilfe für Menschen mit Krebs und ihre Angehörigen in Sigmaringen © privat