Mit Schreiben die Seele stärken Chemotherapie als Abenteuer-Blog
Was war Ihr Antrieb, den Blog zu starten?
Julia: Ich wollte schon immer etwas schreiben. Da ich viel lese, war mir aber klar, dass es genügend gute und schlechte Bücher gibt. Das war also nichts für mich. Als ich meine Diagnose erhielt, war mir sofort klar: Das ist meine Chance. Die Idee dazu hatte ich schon an dem Wochenende, an dem noch völlig unklar war, was passieren würde.
Die endgültige Diagnose erhielt ich am Montag und am Sonntag davor stand schon das Konzept. Ich wollte meine Erfahrungen teilen. Die Themen reichen von den alltäglichen Dingen, die in meinem Leben mit Krebs zu regeln sind, über meine Gemütslage bis hin zu medizinischen Artikeln über Brustkrebs.
Meine Hoffnung dabei war, dass durch meinen Blog die Frauen die Krankheit besser verstehen, ihren Alltag besser in den Griff bekommen und damit die Krankheit besser bewältigen können. Außerdem war dies perfekt, um die Familie, meine Freunde und Kollegen immer auf dem Laufenden zu halten, sodass wir dann persönlich auch über das Leben außerhalb meiner Krankheit reden konnten.
Vier Jahre nach der Diagnose – was hat der Blog für Sie ganz persönlich gebracht?
Julia: Ich habe für mich ein Tagebuch geschaffen. In ihm kann ich alle Hochs und Tiefs gut nachvollziehen. Schon ganz am Anfang habe ich den Grad meines täglichen Wohlbefindens auf einer Skala von 1 (wie beschissen) bis 9 (wie ausgezeichnet) beurteilt. Mit meinem Blog kann ich jederzeit in diese Zeit zurückspringen und meine Erlebnisse so nachvollziehen, wie ich sie damals empfunden und was ich gegebenenfalls dazu recherchiert habe – ganz authentisch.
Und ganz wichtig ist außerdem, dass mir das Schreiben persönlich sehr hilft. Mit der Zeit wurde es eine Art Therapie und ich musste mich mit vielen Dingen der Krankeit ganz ausführlich auseinandersetzen – ob ich es wollte oder nicht. Das hat mir sehr geholfen, die Auswirkungen der Krankheit besser zu bewältigen.
Der Grad des täglichen Wohlbefindens
(9): ausgezeichnet – besser könnte es mir wirklich nicht gehen.
(8): sehr gut – ich fühle mich mit kleinen Einschränkungen fit.
(7): gut – nicht schlecht, aber es könnte mir auch besser gehen.
(6): eher gut – ich fühle mich wie nach einem harten Arbeitstag.
(5): mittelmäßig – nur kleinere Aktivitäten sind möglich.
(4): eher schlecht – ich möchte am liebsten im Bett bleiben.
(3): schlecht – heute ist nur lässiges Rumliegen möglich.
(2): sehr schlecht – eigentlich geht fast gar nichts mehr.
(1): beschissen – heute bin ich nicht einmal zum Schreiben fähig.
Warum ist der Grad des Wohlbefindens so wichtig?
Julia: Der Verlauf zeichnet ein klares Bild. Mit allen Tiefs und Hochs. Es zeigt eben, dass es nicht immer nur aufwärts geht, sondern auch abwärts. Mir hat es in schlechten Zeiten geholfen, daran zu glauben, dass es wieder aufwärts geht. In guten Zeiten hat es mir gezeigt, wie wichtig es ist, gute Zeiten zu nutzen.
Gibt es Regeln für den Blog?
Julia: Ja – ich muss die Regeln negativ formulieren, damit es deutlich wird:
1. Nichts Privates. Es geht um meinen Krebs und die Bewältigung der Krankheit – sonst nichts.
2. Kein Humbug – ganz konsequent. Bei mir kommen keine Alternativ-, Naturheilmediziner oder Wunderheiler zu Wort. Ausschließlich die klassische Schulmedizin.
3. Keine Abhängigkeiten von Geld, Provisionen, Sponsoren und dergleichen.
4. Nichts wird beschönigt – alles ist ehrlich so, wie es geschrieben ist.
Warum ist Ehrlichkeit so wichtig?
Julia: Fast alle meiner Leser sind Krebspatienten, Freunde oder Angehörige von Patienten. Sie suchen Rat, Hilfe und Unterstützung in einer absolut ernsten Situation und meist kritischen Lebensphase. Da gebietet der Anstand und Respekt, ehrlich und wahrhaftig zu sein. Das heißt über die Erfolge wird genauso berichtet und geschrieben, wie über die Misserfolge und die Rückschläge.
Ein negatives Beispiel: Im Frühjahr 2016 trat Miriam Piehlau in der TV-Sendung „Riverboat“ auf und verkündete strahlend, dass es ihr gut geht und sie frei von Metastasen sei. Kurz darauf verstirbt sie an Brustkrebs. Das hat viele meiner Leser geschockt und sie fragten auch bei mir verzweifelt an, ob sie auch belogen werden und bald sterben müssen. Dies hat mir ganz deutlich gezeigt, wie wichtig es, ist ehrlich zu sein – auch bei schlechten Prognosen.