Psychoonkologie Sich helfen lassen kann heilen helfen

Autor: MPL-Redaktion

Psychoonkologen helfen über Schwellen hinweg. © iStock/saiva

Die Angebote sind heute fester Bestandteil einer Krebsbehandlung. Leitlinien und Zertifizierungen schreiben sie in der onkologischen Therapie vor. Lesen Sie in Perspektive Leben, was Psychoonkologen für Krebspatienten, ihre Familien und das Lebensumfeld leisten können. Und warum den Patienten die Angebote helfen.

Wo kommt die Psychoonkologie zum Einsatz?

Die Psychoonkologie ist eine Teildisziplin der Onkologie. Sie wird auf Wunsch der Betroffenen in allen Phasen der Krebsbehandlung aktiv. Dies gilt für den stationären und ambulanten Bereich der Akutbehandlung ebenso wie in den Rehabilitationskliniken und der Nachsorge und Behandlung bei niedergelassenen Ärzten. Die Psychoonkologen in den Krankenhäusern und Rehabilitationskliniken konzentrieren sich dabei auf den stationären Bereich. Für die Ambulanzen und die Nachsorge übernehmen zum Beispiel die Krebsberatungsstellen, Psychotherapiepraxen die Beratung und Betreuung der Patienten. Wir orientieren uns bei unserer Arbeit eher an den Bedürfnissen der Patienten.

Wer kann die Leistungen der Psychoonkologen in Anspruch nehmen?

Alle Tumorpatienten, die einen Gesprächsbedarf aufgrund der Belastungen im Rahmen der Erkrankung haben. Was viele nicht wissen: Unser Angebot richtet sich auch an Angehörige. Besonders Kinder und Partner werden durch die schwere Erkrankung stark in Anspruch genommen. Sie fühlen sich vom Verlust oder auch von finanziellen Sorgen und Nöten bedroht. Auch das soziale Umfeld nimmt die Krankheit oft als Bedrohung wahr und meidet daher die Patienten und Angehörigen. Viele Eltern haben zum Beispiel keine Vorstellung, wie sie mit Kindern über die Erkrankung oder vielleicht sogar über den bevorstehenden Verlust eines Elternteils oder eines Geschwisters reden sollen. Dann geben wir Hinweise und Anregungen, was in diesen Situationen gemacht werden kann, und wir ermutigen die Eltern, diese schwierigen Gespräche zu führen. Wenn dies jedoch nicht möglich sein sollte oder eine zu starke Überforderung darstellt, bieten wir auch diese Art von Gespräch gemeinsam oder einzeln an.

Wie finden Patienten die Psychoonkologen?

Unser Angebot ist sehr niederschwellig angelegt. Wir orientieren uns bei unserer Arbeit eher an den Unterstützungsbedürfnissen der Patienten.

Wir werden immer dann aktiv, wenn Patienten oder Angehörige sich bei uns melden. Ärzte und Pflegepersonal achten auf Anzeichen, die auf seelische Belastungen bei Patienten und Angehörigen hindeuten. Aber auch Haus- und Fachärzte sowie Angehörige machen uns aufmerksam, mit den Betroffenen Kontakt aufzunehmen.

Zudem setzen wir im teilstationären und stationären Bereich ein psychoonkologisches elektronisches Screening bei allen Krebspatienten ein. Damit sollen frühzeitig psychische Belastungen oder psychische Erkrankungen bei Krebspatienten vor, während und nach der Behandlung erkannt werden. Diese Verfahren sind in den S3-Leitlinien und Zertifizierungsbedingungen für alle onkologischen Zentren zwischenzeitlich verbindlich vorgeschrieben. Wenn das Screening erhöhte Belastungswerte angibt, wird den Patienten ein psychoonkologisches Gespräch angeboten beziehungsweise vorgeschlagen. Die Patienten entscheiden dann jedoch selbst, ob sie uns in Anspruch nehmen wollen oder nicht.

Was sind die typischen Anzeichen dafür, dass die Belastung zu groß wird?

Jeder empfindet die Belastung anders. Aber eines scheint allen gemeinsam zu sein. Es gibt eine große Veränderung zu früher und vieles bricht über die Patienten herein. Deswegen kann sich bei dem einen Patienten beispielsweise plötzlich eine lähmende Niedergeschlagenheit breitmachen oder manche Patienten können vor lauter Ängsten fast keinen Schlaf mehr finden. Oder viele alte Ressourcen helfen nicht mehr, den Alltag wie früher zu bewältigen, was wiederum zu weiteren Belastungen führt und der Patient sich zunehmend überfordert fühlt.

Wie viele Patienten nehmen Ihre Angebote wahr?

Ungefähr ein Drittel aller Patienten will von uns intensiv betreut werden. Ein weiteres Drittel holt sich weitergehende Informationen über unsere Arbeit sowie weitere ambulante Angebote und ein Drittel fühlt sich nicht so stark belastet, dass es unsere Hilfe braucht.

Allerdings gilt auch, dass sich die Belastung der Patienten immer wieder verändern kann. Schlägt eine Therapie zum Beispiel sehr gut an, dann ist der Bedarf nach Betreuung meist gering. Krankheitsbezogene Rückschläge oder Unsicherheiten hingegen können extrem belastend sein, auch für Menschen, die am Beginn der Behandlung völlig unbelastet waren. Ein weiterer typischer Zeitpunkt für stark ansteigende und extreme Belastungen sind anstehende Nachsorgetermine. Je näher sie kommen, umso stärker können Nervosität, Angst oder auch Niedergeschlagenheit sein.

Wo sind die Grenzen?

Für die allermeisten Patienten ist die Diagnose Krebs die erste Grenz­erfahrung im Leben. Daher ist unsere Arbeit davon geprägt, dass die Patienten mit der ganz realen und konkreten Bedrohung durch den Krebs konfrontiert werden und diese bewältigen müssen. Und diese Bedrohung bleibt bestehen und kann extreme Ängste auslösen. Wir geben dafür Hilfestellungen, mit dieser Angst zu leben, und leiten die Menschen an, diese Angst besser zu begreifen und einzuordnen. Das heißt, wir führen stabilisierende Gespräche im Rahmen der Krebsbehandlung. Wir versuchen sozusagen, den Belastungssituationen die Spitze zu nehmen.

Sind die seelischen Belastungen jedoch nicht primär in der Krebserkrankung, sondern in einer psychischen Erkrankung begründet, stoßen wir an unsere „Versorgungsgrenzen“. Dann ziehen wir die entsprechenden Spezialisten aus dem psychosomatischen oder psychiatrischen Bereich hinzu, um eine intensivere psychologische Behandlung zu bahnen. Häufig werden wir in den Beratungsgesprächen auch zu finanziellen Hilfen, Renten und Diskussionen mit den Krankenkassen befragt. Auch in diesen Fragen erreichen wir unsere „Wissensgrenzen“ und verweisen an die Sozialen Dienste in den Kliniken, an die Krebsberatungsstelle oder an Patienten­organisationen.


Johanna Ringwald; Dipl.-Psychologin, Psychoonkologin, Medizinische Universitätsklinik Tübingen © privat