Eine Ärztin als Krebspatientin Der Brustkrebs führte mich in ein neues Leben
Familie und Freunde sagten mir immer, ich solle nicht so viel arbeiten. Für mich war die Arbeit in meiner Praxis die Erfüllung. Als ich mich in den Neunzigern, nach fünf Jahren als Angestellte im Krankenhaus, selbstständig machte, haute ich richtig rein. Die Praxis lief gut an und ich machte mir einen Namen als kompetente Ärztin – so lautete zumindest das Feedback vieler Patienten. Das spornte mich weiter an. Ein Zwölf-Stunden-Tag wurde normal. Den damit einhergehenden Stress kompensierte ich mit den Glücksgefühlen rund um meinen beruflichen Erfolg.
Mich plagte ein schlechtes Gewissen
An Wochenenden suchte ich den Ausgleich zum Arbeitsalltag bei der Familie und Freunden. Das brauchte ich. Wir unternahmen und feierten viel. Für eine Ärztin führte ich unterm Strich ein relativ ungesundes Leben: Sport und gesunde Ernährung kamen schon etwas zu kurz. Manchmal plagte mich deshalb ein schlechtes Gewissen. Aber Blutdruck, Blutwerte und sonstige relevanten Parameter waren regelmäßig in Ordnung. So viel zu meinem damaligen Lebenswandel.
Zu spät zur Vorsorge
Sicherlich war das alles nicht der Grund dafür, dass sich bei mir ein Tumor in der Brust entwickelte. Dass er jedoch zu lange unerkannt blieb, lag schon an meinem Arbeitspensum. Denn ich versäumte es einfach, zur Vorsorge zu gehen. Manchmal dachte ich daran, vergaß es jedoch schnell wieder oder mein Terminkalender ließ es einfach nicht zu. Und als ich mich letztlich dazu aufraffen konnte, fünf Jahre später als empfohlen, stellte mir meine Gynäkologin gleich die schlimme Diagnose.
Ich schloss meine Praxis
Als Ärztin weiß ich, dass die moderne Medizin dem Krebs seinen Schrecken genommen hat. Vor allem der Brustkrebs kann mittlerweile gut behandelt werden. Dennoch war ich wie vom Blitz getroffen. Ich schloss meine Praxis vorübergehend und beauftragte meinen Mann, nach einer Vertretung für die kommenden sechs Monate zu suchen. Ich ließ alles stehen und liegen. Mein Fokus lag nur noch auf der Bewältigung der Krankheit.
Eine gute Nachricht
Wie sich bei der nachfolgenden Diagnostik herausstellte, hatte mein Tumor noch keine Metastasen gebildet. Eine gute Nachricht! Ich verspürte das erste Mal in diesen Tagen echte Zuversicht. Der Therapieplan lautete: Chemo, Operation, Chemo. Man musste den Tumor erst verkleinern, bevor man ihn operierte. Danach sollte eine zweite Chemotherapie Metastasen zerstören, die eventuell noch im Körper verblieben waren. Das Ganze klang logisch. Das Gefühl, den Tumor nicht sofort loszuwerden, störte allerdings gewaltig.
Sport half bei der Chemo
Die Chemotherapie haute mich um. Ständig war ich kraftlos und müde. Offensichtlich rächte sich hier mein Lebenswandel. Ich hörte von erkrankten Sportlerinnen, die die Chemo deutlich besser wegsteckten. So beschloss ich, Sport zu treiben. Die Überwindung war anfangs riesengroß: Zu Beginn joggte ich ganz langsam und gerade einmal zehn Minuten. Mehr ging nicht. Ich nahm mir vor, jeden Tag etwas zu tun und mich stetig zu steigern. Sehr langsam stellten sich Erfolge ein. Ausdauer und Kraft verbesserten sich. Ich musste mich auch nicht mehr überwinden, Sport zu treiben. Und, vielleicht war es Einbildung, aber ich glaubte, die Chemo deutlich besser zu verkraften. Ich fühlte mich besser.
Wie ein anderer Mensch
Bereits eine Woche nach der Operation nahm ich mein Training wieder auf. Die zweite Chemo steckte ich besser weg. Das lag sicherlich auch an meiner neuen lebensbejahenden Einstellung: Ich wusste nun, ich konnte die Krankheit besiegen. Das verlieh mir einen enormen mentalen Schub. Die neu erworbene körperliche Leistungsfähigkeit trug ihr Übriges dazu bei. Nach Ende der Therapie war ich wie ein anderer Mensch. Die Haare wuchsen wieder. Ich spürte meinen Körper viel bewusster als früher. Und ich dachte anders über meine Arbeit nach. Sie war nach wie vor wichtig – und ich freute mich auf meine Rückkehr –, aber sie war nicht mehr alles für mich!
Der Krebs führte mich in ein neues Leben: Ich nahm einen Partner mit in meine Praxis – denn es hatte sich gezeigt, dass der Laden auch ohne mich gut laufen konnte – und arbeitete nur noch drei Tage in der Woche. Ich blieb beim Sport und nehme regelmäßig an Volksläufen teil. Meine Bestzeit für zehn Kilometer liegt bei einer Stunde und zwölf Minuten. Ich feiere nicht mehr so viel an den Wochenenden – und wenn, dann nicht, um Arbeitsstress zu kompensieren, sondern weil ich Lust dazu habe.