Fortgeschrittener Lungenkrebs Es geht immer weiter
Ist es wirklich der Nacken? Vor etwas mehr als zwei Jahren, im März 2013: Habibullah Hamim wacht immer wieder mit Nackenschmerzen auf. Er stützt dann seinen Kopf beim Aufstehen ein wenig, steht auf und alles ist wieder in Ordnung. Bei der Arbeit als Paketzusteller spürt er keine Schmerzen. Nach zwei Wochen wird er misstrauisch und geht zum Arzt. Die Tabletten und Physiotherapie, die er verschrieben bekommt, bringen aber keine Besserung. Auch der Orthopäde findet nichts und schiebt die Beschwerden auf die Arbeit als Paketzusteller.
Nach vier Wochen insistiert er. Er will besser untersucht werden. Gesagt, getan. Er bekommt am 26. April 2013 einen Termin. „Um 11 Uhr war die Untersuchung“, sagt Hamim. „Und um 13 Uhr war ich in der Notaufnahme des Katharinenhospitals in Stuttgart.“ Er lacht. „Das war echt ein hektischer Tag!“
Gelassen bleiben: Denn es ist, wie es ist
Die Untersuchung des Wirbels zeigt einen Halswirbel, der sehr stark geschwächt ist und zu brechen droht. Daher rührt wohl die große Eile, denkt sich Hamim. Die Antwort auf die Frage, was den Wirbel derartig stark geschwächt hat, ist zu diesem Zeitpunkt eher ein Zufallsbefund. Eine Computertomographie der Lunge zeigt nämlich einen kirschkern großen dunklen Fleck. Schnell wird klar, dass dies ein sehr ernster Befund ist.
Die weiteren Untersuchungen ergeben, dass Hamim an dem heimtückischen nicht-kleinzelligen Lungenkrebs erkrankt ist. Und die Probleme in der Halswirbelsäule werden durch eine Metastase dieses Krebses in der Lunge ausgelöst. „Eine Operation an der Halswirbelsäule kam nicht infrage“, betont Dr. med. Axel Kempa, Leiter Sektion Pneumologie am Katharinenhospital in Stuttgart. Wegen einer drohenden Querschnittslähmung wurde eine rasche Strahlentherapie der Wirbelsäule eingeleitet. Eine Operation des Lungenkrebses war wegen der Metastasen aber nicht mehr sinnvoll möglich. „Ich vertraue voll auf die Ärzte“, sagt Hamim. „Sie tun alles, dass es mir gut geht. Und der Rest ist, wie es ist.“
Mit allen Mitteln gegen die Krankheit
Das Ärzteteam und Hamim entscheiden sich für eine parallele Behandlung mit Strahlen- und Chemotherapie. Die Bestrahlung soll die Wirbelsäule wieder in Ordnung bringen, die Chemotherapie soll den Primärtumor bekämpfen und weitere Metastasen verhindern oder eindämmen.
Im Anschluss an die Chemo- und Strahlentherapie kann Hamim den weiteren Fortschritt der Erkrankung mit einem Tyrosinkinase-Hemmer für über sechs Monate gut in Schach halten. „Dieser sehr gut wirksame Wachstums-Hemmer wird immer dann eingesetzt, wenn der Tumor eine bestimmte Genmutation aufweist, die für die Entartung verantwortlich ist“, sagt Dr. Kempa. „Das war eine gute Zeit!“, so Hamim. „Ich hab täglich eine Tablette genommen und weiter ging’s.“ Dann im Jahr 2014 verliert der Wachstums-Hemmer langsam seine Wirkung. Eine weitere Chemo- und Strahlentherapie wird notwendig. Das Konzept gegen die Nebenwirkungen ist für Hamim einfach: Das Leben geht weiter, da muss ich durch.
Ganz wichtig: Leben im Hier und Jetzt
Hamim geht nach den Behandlungen für einige Monate in sein Heimatland Afghanistan und macht dort Urlaub. Für ihn ist das eine wichtige Zeit. Er spürt dort, dass das Hier und Jetzt für ihn ganz wichtig ist. „Der Blick nach hinten nutzt nichts und die Zukunft kommt, wie sie kommt“ , sagt er und lacht. Das Hier und Heute ist für ihn auch heute noch entscheidend. Doch auch Hamim und seine Frau blicken einmal in die Zukunft. Sie denken über gemeinsame Kinder nach.
Und weil der Kinderwunsch derzeit nicht zu erfüllen ist, planen sie für die Zukunft. Hamim lässt daher Samen konservieren. Er steht dann zu einem späteren Zeitpunkt zur Befruchtung zur Verfügung.
Neue Wege in der Behandlung
Inzwischen sind weitere Bestrahlungen von Metastasen notwendig geworden. Zeitweilig wurde auch über eine weitere Chemotherapie nachgedacht. Im Laufe dieser Überlegungen haben die Ärzte eine für Hamim vielleicht entscheidende Entdeckung gemacht. Sein Tumor hat eine Veränderung der Wachstumsfaktoren, gegen die derzeit ein neuer Wirkstoff getestet wird. „Wir konnten Herrn Hamim in die dazu laufende Studie am Uniklinikum Köln einbringen.“ Ohne Zögern hat Hamim der Teilnahme zugestimmt. In diesen Tagen beginnt die Behandlung. „Das wird schon. Es geht immer weiter!“, sagt er zum Abschied und lacht.