Selbsthilfe und Corona Warum die Gruppe jetzt noch wichtiger ist

Autor: Thomas Kuhn

Zu Problemen mit der Krankheit kommen Fragen rund um die Pandemie. © fotomek – stock.adobe.com

Die seelische Belastung nach einer Krebsdiagnose ist groß. Betroffene sind oftmals überfordert, sowohl mit ihrer Erkrankung als auch mit der anstehenden Therapie. Es gibt einfach zu viele unbeantwortete Fragen und entstehende Ängste. Nicht alles kann der behandelnde Arzt ausräumen. Hinzu kommt aktuell die Coronapandemie, die für viele die Lage noch erschwert. Ein Gespräch mit Gleichgesinnten kann da erleichternd wirken – in einer Selbsthilfegruppe findet man sie. Perspektive LEBEN konnte mit drei Teilnehmern sprechen.

Die Klärung medizinischer Fragestellungen rund um die Erkrankung und Therapie ist für Betroffene ein dringendes Ziel. Verständlicherweise möchte man wissen, wie die gesundheitlichen Perspektiven aussehen und auf welche Behandlungen man sich einstellen muss.

Etwas anderes als Arzt oder Familie

Darüber hinaus brennen aber weitaus mehr Themen auf der Seele. Themen, die jedoch von der Ärzteschaft meist nicht beantwortet werden können, auch weil viele erst später, etwa während oder nach der Therapie, auftauchen. Inge Schmidt aus Hannover erinnert sich: „Ich baute erst nach meiner Therapie den Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe auf. Ich merkte, dass mir der Wiedereinstieg in den Alltag Probleme machte. Ich suchte nach Antworten, die mir weder Arzt noch Lebenspartner geben konnten. In der Gruppe wurde ich fündig.“

Der Austausch mit anderen Betroffenen ersetzt nicht das Gespräch mit Angehörigen oder Freunden, er bietet aber eine wichtige Ergänzung. So sieht das auch Dieter Hambach aus Hildesheim: „Bei bestimmten Problemen können nur Menschen helfen, die ähnliche Erfahrungen bereits gemacht haben. Lebenspartner und Freunde spenden hingegen den wichtigen Trost beziehungsweise den seelischen Beistand, was nicht minder wichtig ist.“ Katharina Wagner aus Langenhagen ergänzt: „Mein Mann stand mir besonders zu Beginn der Erkrankung hilfreich zur Seite. Aber über einen langen Zeitraum wird es oft schwer. Das Verständnis für alle Sorgen und Nöte, wie es andere Betroffene in sich tragen, besitzt er einfach nicht.“

Offene Gespräche und praktische Tipps

Das Prinzip einer Selbsthilfegruppe beruht auf dem Erfahrungsaustausch zwischen den Betroffenen. Der Wissensschatz der Teilnehmer ist groß. Jeder kann über seine bisher gemachten Erlebnisse offen sprechen, wenn er möchte. Inge Schmidt erklärt: „Unsere Probleme während der Therapie, im Alltag oder in der Familie sind oft ähnlich, die Empfehlungen zum Umgang mit ihnen nicht selten unterschiedlich.“

Die regelmäßige Teilnahme an den Treffen hilft in vielen Krankheitsphasen ungemein bei der Bewältigung neuer Probleme. Frisch diagnostizierte Patienten profitieren besonders von den erfahrenen Teilnehmern und bekommen so rasch die nötige Unterstützung. Doch nicht nur sie. „Für Patienten mit chronischen Krebserkrankungen sind solche Treffen von ganz großer Bedeutung. Einige sind dauerhaft in Therapie. In den ersten Jahren gibt es viel Klärungsbedarf“, sagt Dieter Hambach. Im Vordergrund stehen dann neue Entwicklungen und Therapien. Der Austausch da­rüber schafft einen großen praktischen Nutzen. Hilfreich können des Weiteren Tipps zur Beantragung eines Schwerbehindertenausweises, zur Reha oder Informationen über regionale Veranstaltungen sein.

Katharina Wagner ist der seelische Beistand, den sie in der Gruppe erhält, besonders wichtig: „Niemand kennt das Seelenleben eines Betroffenen besser als Menschen mit derselben Erkrankung.“ Gleichgesinnte wissen oft sogar unausgesprochen, was den anderen bedrückt. Das tut gut. Zudem gelingt in einer Selbsthilfegruppe der Austausch über Ängste, die man nicht in die Familie geben will, weil Angehörige nicht beunruhigt werden sollen. Hier haben Betroffene Zuhörer, die aufgrund von eigenen Erfahrungen Verständnis haben und Antworten geben können. Die Begleitung von Angehörigen und Freunden ist gerade zu Beginn sehr intensiv. Im Laufe der Zeit wird es immer schwerer und es kann zum Rückzug kommen, da für das Umfeld eine gewisse Normalität entsteht und für die Probleme der Patienten das Verständnis fehlt.

In Corona-Zeiten den Dialog aufrechterhalten

Der persönliche Austausch in der Gruppe ist in Zeiten der Coronapandemie besonders schwierig. Treffen mit mehreren Personen aus verschiedenen Haushalten waren oder sind meist nicht erlaubt. Katharina Wagner empfindet die Situation als belastend: „Neben den Problemen mit unserer Krankheit tauchten Fragen rund um die Pandemie auf.“ Die Lösung: Viele Selbsthilfegruppenteilnehmer wichen auf Online-Sitzungen aus. „Das ersetzt zwar nicht ein persönliches Treffen, aber immerhin kann man so Informationen austauschen“, sagt Dieter Hambach. Er gibt jedoch zu bedenken: „Einige verfügen nicht über die technischen Möglichkeiten, an einer Internet-Sitzung teilzunehmen.“

Zu ihnen gehört Inge Schmidt. „In den Medien liest man viel Widersprüchliches, etwa über die Überlastungen der Krankenhäuser. Und wie sich Menschen mit unserem Krankheitsbild verhalten sollen, steht nirgends. Gruppentreffen sind daher wichtiger denn je.“ Inge Schmidt trifft sich mit unterschiedlichen Einzelpersonen aus der Gruppe, um möglichst viele Informationen zu sammeln. „Die Gespräche helfen, auch wenn sie die Gruppe nicht ersetzen können.“ Mittlerweile können teilweise – je nach Bundesland, Region und Inzidenz – wieder Gruppentreffen stattfinden. Voraussetzungen sind ein Hygiene-Konzept und ein gültiger Schnelltest.