Kostenerstattung Nichts geht ohne Antrag – Was tun, wenn sich Krankenkassen querstellen?
Annegret T. aus Reutlingen bekommt im Frühjahr 2019 die erste Diagnose Brustkrebs. Ihr behandelnder Arzt bespricht den Therapieplan mit ihr. Darin schlägt er vor, dass Annegret T. nach der Operation eine sogenannte adjuvante, also ergänzende Chemotherapie machen soll. Damit sollen einzelne Krebszellen oder Zellgruppen abgetötet werden, die sich vor der Operation aus dem eigentlichen Tumor gelöst haben und dann oft viel später Metastasen bilden können.
Wer profitiert?
Annegret T. fragt, ob das notwendig und wirklich nützlich ist. Das Problem ist nämlich, dass nicht alle Krebsarten mit dieser Art der Chemotherapie bekämpft werden können. Darauf hin schlägt der Arzt einen sogenannten biomarkerbasierten Test vor. Er zeigt an, ob und wie Annegret T. von der Therapie profitieren kann. Ist der Test negativ, kann auf diese Art der Chemotherapie verzichtet und können damit alle Nebenwirkungen vermieden werden.
Allerdings übernahmen die Krankenkassen damals die Kosten von etwa 3.000 Euro für diesen Test nicht. Annegret T. entschließt sich daher, den Test selbst zu bezahlen. Im Juni 2019 verkündet der Gemeinsame Bundesausschuss, dass dieser Test als Kassenleistung in den Katalog erstattungsfähiger Leistungen aufgenommen wird. Im Streit mit der Krankenkasse versucht Annegret T. nun, das Geld für den Test nachträglich erstattet zu bekommen.
Antrag stellen
„Dieser Streit kann viel leichter gewonnen werden, wenn vor der Behandlung ein entsprechender Antrag bei der Kasse eingereicht wird“, sagt Sascha Pfingsttag, Fachanwalt für Sozialrecht in Reutlingen. „Denn wer die Behandlung beginnt und bezahlt, ohne einen Antrag gestellt zu haben, verliert meist den Anspruch auf Erstattung.“
Dieser Antrag könne formlos an die Kasse mit der entsprechenden Verordnung, Rezept oder mit der ausführlichen Therapieempfehlung des Arztes gestellt werden.
Verfahren
Wird dem Antrag entsprochen, erhalten die Patienten den sogenannten Kostenerstattungsbescheid. Wird dem Antrag nicht stattgegeben, können die Patienten Widerspruch einlegen. „Das ist der Zeitpunkt, an dem ein spezialisierter Anwalt eingeschaltet werden sollte“, rät Pfingsttag. „Denn nun müssen die Gesetzeslage, Urteile, Kommentare und dergleichen genau geprüft und beurteilt werden. Nur dann kann ein Widerspruch fundiert begründet und die sogenannte subjektive Erforderlichkeit nachgewiesen werden.“
Dieser Verfahrensschritt kostet die Patienten im Schnitt etwa 380 Euro Anwaltsgebühren. Im Zweifel müssen Patienten die Leistungen selbst bezahlen und um die Erstattung weiter streiten.
Welcher Anwalt ist der richtige?
Grundsätzlich gilt bei der Wahl eines Rechtsbeistandes: Die einzelnen Rechtsgebiete sind mittlerweile so undurchschaubar geworden, dass selbst Fachleute nicht auf allen Rechtsgebieten sattelfest sein können. Deshalb ist es wichtig, einen Fachanwalt für Sozialrecht auszuwählen. Wo es solche Fachanwälte gibt, erfährt man in den jeweiligen regionalen Rechtsanwaltskammern.
Fiktion
Seit dem Jahr 2013 gilt die „Genehmigungsfiktion“ für Anträge, die ein Versicherter bei seiner Kasse stellt. Dies bedeutet, dass ein Antrag als genehmigt gilt, wenn er innerhalb von drei Wochen nicht abgelehnt bzw. darüber nicht entschieden wird. In besonders schwierigen Fragestellungen gelten fünf Wochen.
„Wir sprechen dabei von der Genehmigung bei nicht fristgerechter Entscheidung. Das heißt, wenn die Krankenkasse innerhalb dieser Fristen die Entscheidung nicht bekannt gibt, kann der Patient die Behandlung beginnen. Die Kosten werden dann dem Arzt oder Patienten erstattet“, sagt Pfingsttag. „Diese Vorschriften haben die Verfahren zugunsten der Patienten stark beschleunigt.“
Diagnosen
Auch für Diagnosen gilt dieses Verfahren aus Antragsstellung, Genehmigungsfiktion und Widerspruchsrecht. Das Sozialgericht in Karlsruhe führt hierzu aus: Versicherte können unter den Voraussetzungen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung auch noch nicht allgemein anerkannte Untersuchungsmethoden beanspruchen, um Therapieentscheidungen vorzubereiten.
„Aus der Erfahrung heraus kann ich bestätigen, dass sich ein Widerspruchsverfahren und auch ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren mithilfe eines Anwaltes oft bezahlt macht“, betont Pfingsttag.