Lungenkrebs Vom richtigen Umgang mit der Angst

Arzt als Krebspatient Autor: Perspektive LEBEN

„Als ich erfuhr, dass ich keine Metastasen hatte, konnte ich mich wieder richtig freuen.“ © Anton-Gvozdikov – stock.adobe.com

Dr. Simone M. studierte Humanmedizin in Hannover. Um die Jahrtausendwende machte sie sich mit einer Praxis für Allgemeinmedizin in der Nähe von Dresden selbstständig. Sie ist seit 24 Jahren verheiratet und hat zwei Kinder. Vor sechs Jahren erhielt sie die Diagnose Lungenkrebs. Zu diesem Zeitpunkt war sie Anfang fünfzig. Hier berichtet sie von diesem Augenblick und ihren Erfahrungen im Umgang mit der Erkrankung.

Es war kurz vor den Sommerferien. Meine beiden Töchter gingen noch zur Schule, in die 9. und 11. Klasse. Die ganze Familie befand sich in Hochstimmung. Wie kleine Kinder freuten wir uns auf den gemeinsamen Sommerurlaub: drei Wochen durch den Westen der USA. Die Reise hatten wir über ein Jahr lang geplant und ausgearbeitet. Ich konnte meine Erfahrungen dabei gut einbringen – war ich doch schon einmal dort gewesen. Nun brannte ich darauf, meiner Familie Orte wie den Grand Canyon, San Francisco und Monument Valley zeigen zu dürfen.

Eine ungewöhnliche Bronchitis

Ein kleiner Wermutstropfen trübte meine Euphorie jedoch: Seit einer Woche plagte mich ungewöhnlicherweise eine Bronchitis, mitten im Sommer. Das kannte ich nicht. Ich rauchte daher auch seit Tagen keine Zigarette mehr. Da unser Reisestart aber noch sieben Tage entfernt lag, war ich bezüglich meiner Genesung zuversichtlich gestimmt.

In der nächsten Nacht packte mich dann ein starker Hustenreiz. Ich musste mich im Bett aufsetzen. Es war kurz nach drei Uhr. Um meinen Mann nicht zu wecken, begab ich mich ins Bad, um ordentlich aushusten zu können. Ungebremst. Ich hatte das Gefühl, irgendetwas loswerden zu müssen. Der Husten wurde so heftig, dass ich Tücher vor meinen Mund hielt. Und dann sah ich das Blut. Ich überprüfte sofort im Spiegel, ob ich mir auf die Zunge oder Lippen gebissen hatte. Aus der Lunge durfte das Blut auf gar keinen Fall stammen. Ich wurde jedoch nicht fündig! Sofort schoss eine ungeheure Angst durch meinen Körper. Lungenkrebs!

Die ständige Begleiterin

In den nächsten Tagen lief dann alles ab wie in einem Film. Ich stand völlig neben mir. Die Angst war meine ständige Begleiterin. Kollegen untersuchten mich und meine Lunge: Röntgen, Bluttests, Bronchoskopie und so weiter. Ich dachte dabei ständig an meinen Zigarettenkonsum der vergangenen 25 Jahre – dass ich immer wieder aufhören wollte. Wusste ich doch, wohin das führen konnte.

Nach Silvester gab es die meisten Anläufe. Ich wurde wütend auf mich. Am Tag der Ergebnisbesprechung war meine Angst unerträglich groß. Mein Mann begleitete mich. Den Kindern hatten wir nichts gesagt – einkaufen, so lautete der offizielle Abwesenheitsgrund.

Angst vor der wichtigsten Frage

Der Lungenfacharzt, der Pneumologe, machte es kurz und schmerzlos. Wahrscheinlich meinte er, mir das zumuten zu können – so unter Kollegen. Seine Diagnose lautete nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom. Also tatsächlich Lungenkrebs. Meine Angst potenzierte sich. Ich konnte fast gar nicht mehr klar denken. Die notwendigen Fragen stellte mein Mann. Welche Therapie, wie lange und wo? Nur vor der wichtigsten Frage hatte auch er Angst: Wie lange noch?

Ich stellte sie schließlich. Seine Antwort fiel sehr ausführlich aus. Na klar, aus heutiger Sicht nachvollziehbar. Für mich damals jedoch unbefriedigend: Das hänge von weiteren Untersuchungen ab. Gut sei, dass der Tumor operiert werden könne. Und dies wäre die einzige Möglichkeit einer vollständigen Heilung. Vorausgesetzt, man würde keine Metastasen finden. Meine Angst blieb. Der Urlaub musste abgesagt werden. Meine seelische Verfassung war auf dem Tiefpunkt.

Positive Gefühle hatten es schwer

In den Tagen darauf folgten zahlreiche Untersuchungen. Anschließend wurde ich operiert. Meine Lunge konnte weitestgehend erhalten werden. In den nachfolgenden Wochen bekam ich eine Chemotherapie. Dieser Zeitraum wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Ich konnte einfach nicht mit meiner Angst umgehen. Obwohl es in der Rückbetrachtung eigentlich genügend Gründe dafür gab: Der Tumor konnte komplett entfernt werden. Das war für meine Prognose das Beste, was mir passieren konnte.

Die Untersuchungen deuteten darauf hin, dass keine Metastasierung stattgefunden hatte. Was wollte ich mehr? Es gelang mir nicht, diese positiven Informationen in positive Gefühle umzusetzen.

Meinen Mann kostete diese Phase sehr viel Kraft. Er musste zum einen meine Erkrankung selbst verarbeiten. Das gelang ihm viel schneller und besser als mir. Er schöpfte aus den positiven Informationen Zuversicht. Sein Problem war nur: Er konnte sie nicht an mich weitergeben. Er sah, wie ich litt, versuchte alles, um mir zu helfen, und scheiterte. Aber er gab nie auf. Sein Verhalten in dieser Zeit war einfach großartig.

Die Psychoonkologie fehlte

Erst nach Beendigung der Chemotherapie ging es mir besser – körperlich und geistig. Ich konnte über einen längeren Zeitraum abschalten, nicht an die Erkrankung denken. Beflügelt wurde dieser Trend von dem Abschlussgespräch in der Klinik. Der behandelnde Onkologe strahlte sehr viel Optimismus aus. Seiner Ansicht nach wären keine Metastasen mehr in meinem Körper. Er hätte ein gutes Gefühl. Seine Worte erwärmten mich. Zum Abschluss machte er noch einen Witz über das Zigarettenrauchen. Und ich konnte seit der Diagnose das erste Mal wieder lachen.

In einer kämpferischen Stimmung verließ ich die Klinik, rief meinen Mann an und schlug ein Abendessen mit den Kindern bei unserem Lieblingsitaliener vor. Meine Familie war euphorisiert von meinem Vorschlag. Innerhalb kürzester Zeit drehte sich alles: Ich wurde zuversichtlich. Plante meine Tage und Wochen. Und die nächste Möglichkeit, die USA-Reise nachzuholen. Angst hatte ich seitdem nicht mehr. Allenfalls mal ein ungutes Gefühl.

Nach drei Jahren fühlte ich mich geheilt. Die Statistik sprach für mich. Warum ich meine Angst in den ersten Monaten nicht in den Griff bekam, kann ich nicht sagen. Sicher ist, ich hätte einen Psychoonkologen aufsuchen sollen. Psychologischer Rat wäre hilfreich gewesen in dieser Zeit – für alle Beteiligten. Heute bin ich seit sechs Jahren Nichtraucherin und gelte als geheilt. Die USA-Reise war ein Erfolg. Und in meiner Praxis hängen Schilder über die Folgen des Rauchens.


Die Diagnose Lungenkrebs war für die Allgemeinmedizinerin ein Schock. (Agenturfoto) © Alliance – stock.adobe.com