Eine Ärztin als Krebspatientin „Ich wollte mein Glück nicht gefährden“
Die Empfehlung lautet: ab 50 zur Darmkrebsvorsorge. Auch ich kannte diese Altersgrenze. Und als Medizinerin wusste ich zudem, warum eine solche Vorsorge so wichtig ist: Es geht darum, wie bei anderen Krebsarten auch, den Tumor möglichst früh zu entdecken. Denn dann lässt er sich gut behandeln. Da ein Darmtumor – und das unterscheidet ihn von vielen anderen – sehr langsam wächst und erst nach vielen Jahren gefährlich wird, macht die Vorsorge wirklich Sinn. Dumm, wenn man sich nicht an diese logisch nachvollziehbare Empfehlung hält. Dumm, wenn man meint, es kann einen nicht treffen. Ich war dumm.
Erfülltes Leben
Die Jahre vor meiner Diagnose waren mit die glücklichsten meines Lebens. Ich stand in einer stabilen Beziehung. Im Job lief es super: Ich arbeitete als Anästhesistin seit 17 Jahren in einem Hamburger Krankenhaus. Die Arbeit machte Spaß. Mit meinen Kollegen verstand ich mich prima. Einige gehörten zum Freundeskreis. In meiner Freizeit trieb ich viel Sport, z.B. Tennis und Radfahren. Ich war richtig fit, fühlte mich kerngesund. Gemeinsam mit meinem Lebensgefährten verreiste ich regelmäßig. Die Ziele lagen oft auf anderen Kontinenten. Zu unseren Favoriten zählten Nordamerika und Südostasien. Manchmal flogen wir dreimal pro Jahr.
Rechtfertigungen
Rückblickend weiß ich heute, dass mich dieses erfüllte Leben ablenkte von ernsteren Dingen. Dinge, die irgendwie nicht reinpassten. Dazu zählte auch die Krebsvorsorge. Ich hatte sie zwar nicht vergessen und kurz nach meinem fünfzigsten Geburtstag daran gedacht. Ich fand aber zu wenig Zeit in meinem Kalender, wie etwa für das Arztgespräch, Terminfindung, Darmspiegelung und das ganze Drumherum. Darüber hinaus sagte ich mir, Vorsorge sei noch längst nicht nötig. Schließlich war ich ja gesund und achtete überdies noch penibel auf eine ausgewogene Ernährung. So rechtfertigte ich den Aufschub vor mir selbst.
Peinliche Haltung
Manchmal aber, wenn die Ärztin in mir durchkam, verspürte ich doch einen gewissen Druck. Als Medizinerin wusste ich natürlich, dass Sport und Ernährung einen nicht vor Darmkrebs schützen können. Und ich wusste, dass meine Haltung unvernünftig war. Dennoch ging ich auch die nächsten Jahre nicht zum Gastroenterologen. Warum? Weil ich mein Glück in dieser Zeit nicht gefährden wollte! Zu groß waren unsere Reisepläne. Zu schön die Vorfreude und die Planungen rund um die Urlaube. Eine Krebsdiagnose hätte ja alles zu Nichte gemacht! Ich weiß, wie unglaublich das klingt. Und als Ärztin ist mir das mehr als peinlich. Ich erzähle das aber so offen, weil ich glaube, dass es viele Menschen gibt, die mit solchen unsinnigen Gedanken ihre Vorsorge verschieben.
Ausgerechnet im Urlaub
Und dann kam, was kommen musste: Ausgerechnet in der ersten Woche einer dreiwöchigen USA-Reise im Frühjahr 2018 entdeckte ich beim morgendlichen Toilettengang Blut im Stuhl. Ich ahnte sofort, dass sich meine laxe Haltung nun rächte. Der Urlaub war dahin. Ich ging noch am selben Tag zu einem Arzt in Boston. Der redete nicht lange herum. Er empfahl mir eine Darmspiegelung, die bereits zwei Tage später erfolgte. Die Diagnose lautete Darmkrebs. Wir reisten mit der nächsten Maschine zurück nach Hamburg.
Ängstliche Tage
Glücklicherweise war der Darmkrebs nicht sonderlich weit fortgeschritten. Auch seine Lage erwies sich als unproblematisch. Er konnte also gut operiert werden. Und als der Onkologe Metastasen für unwahrscheinlich hielt, war mein Seelenfrieden wiederhergestellt. Die Erleichterung war unbeschreiblich. Die Tage vor dieser Diagnostik waren hingegen die schlimmsten meines Lebens. Ich hatte große Angst. Meine Freunde versuchten mich zu beruhigen, kümmerten sich und lenkten mich ab. Leider nur mit mäßigen Erfolg. Ständig dachte ich an den Krebs und an meine Zukunft.
Zeit für Vorsorge
Operation, Chemotherapie und Nachsorge verkraftete ich überdurchschnittlich gut – das sagten zumindest die behandelnden Ärzte. Tatsächlich schaffte ich es, wenige Tage nach der OP meine sportlichen Aktivitäten wieder aufzunehmen. Die Überwindung war jedes Mal groß, denn die Chemo machte müde. Allerdings fühlte ich mich hinterher körperlich einigermaßen agil. Die Nahrungsaufnahme klappte gut. Nach einigen Monaten aß ich ähnlich wie vor der Erkrankung. Heute, drei Jahre nach der Diagnose, fühle ich mich wieder gesund. Das liegt auch daran, dass ich regelmäßig zur Vorsorge gehe. In meinem Kalender findet sich nun ausreichend freie Zeit dafür.