Fitness Körperliches Training hilft in allen Krankheitsphasen
„Wir wissen heute, dass eine bewusste Bewegungstherapie die wirkungsvollste Supportivmaßnahme im Rahmen einer onkologischen Erkrankung darstellt. Dies bestätigen Hunderte von Studien“, stellt Professor Dr. Freerk Baumann fest. Er ist Leiter der Arbeitsgruppe Onkologische Bewegungsmedizin im Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) an der Uniklinik Köln. Seit dem Jahr 2007 forscht er mit seinem Team und ist sich sicher: „Keine andere unterstützende Therapie hat ein so vielseitiges Potenzial für Krebspatienten.“
Frühzeitig mit dem Training starten
Betroffene sollten möglichst früh nach ihrer Diagnose mit der Bewegungstherapie beginnen. „Das mildert die Nebenwirkungen der medizinischen Behandlung ab und verbessert den Verlauf“, erklärt Prof. Baumann. Untersuchungen zeigen, dass beispielsweise das Fatiguesyndrom gehemmt, die körperliche Leistungsfähigkeit gefördert und psychische Belastungen wie Angst und Depression reduziert werden. Ausreichende körperliche Aktivitäten im Alltag, kombiniert mit einer gezielten Bewegungstherapie, steigern die Lebensqualität der Patienten während ihrer Behandlung und in der Nachsorge. Prof. Baumann betont: „Es gibt Hinweise, dass bei einigen Krebserkrankungen auch das Gesamtüberleben verbessert werden könnte. Dies ist aber noch nicht abschließend belegt.“
Bewegungsmöglichkeiten des Alltags nutzen
Die dringende Empfehlung des Sportwissenschaftlers lautet: Patienten müssen versuchen, ihre Alltagsaktivitäten aufrechtzuerhalten, auch wenn das oftmals schwer fällt. Wenn möglich sollten sie sich genauso bewegen, wie vor der Krebsdiagnose. Dies beugt Erkrankungen vor, die durch einen Bewegungsmangel entstehen können. „Betroffene sollten versuchen, ihren üblichen Wegen nachzugehen und Arbeiten weiterhin zu verrichten und diese nicht anderen überlassen“, sagt Prof. Baumann.
Neben diesen Alltagsaktivitäten rät der Experte zu einer professionell angeleiteten Bewegungstherapie durch geschulte Sport- oder Physiotherapeuten, die genau auf die Nebenwirkungen der medizinischen Behandlung abzielt. Ob Operation, Antikörper-, Antihormon-, Chemo- oder Strahlentherapie: Sie alle bringen Nebenwirkungen mit sich und beeinträchtigen die Betroffenen teilweise sehr stark. Diese gilt es zu mindern oder ganz zu vermeiden. „Dabei gibt die jeweilige Krebserkrankung den Behandlungspfad vor: Spezielle Therapeuten richten die Bewegungstherapie nicht nur an der körperlichen Fitness ihrer Patienten aus, sondern vor allem an der Art und Schwere der Krebserkrankung und ihrer medizinischen Therapie“, so Prof. Baumann. Er bietet regelmäßig Fortbildungen mit der Bezeichnung „Onkologische Trainings- und Bewegungstherapie – OTT“ für Physio- und Sporttherapeuten an. Diese werden nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und S3-Leitlinien geschult.
Individuelle Bewegungsprogramme
Dank der sportwissenschaftlichen Forschung werden solche Bewegungsprogramme immer individueller. „Das übergeordnete Ziel ist die Verbesserung der Lebensqualität der Patienten. Mittlerweile können wir so exakt arbeiten, dass eine genaue Definition der Ziele möglich wird“, berichtet Prof. Baumann und führt aus: „Hier müssen die Betroffenen helfen und gemeinsam mit uns im Dialog ein Ziel formulieren, damit wir fokussiert in die gewünschte Richtung gehen können. Wir nennen diese Weiterentwicklung personalisierte Bewegungstherapie.“
Wurde vor einigen Jahren noch eine Sportgruppe gebildet, die „irgendwie drauflos marschierte“, wählen Therapeuten heute passende Methoden der Trainingsintervention. Mit unterschiedlichsten Intensitäten, Inhalten und Regenerationsphasen schneidern sie dann für jeden Patienten ein individuelles Programm.
Moderne Trainingsgeräte helfen
Prof. Baumanns Team greift zudem auf alternative bewegungstherapeutische Konzepte zurück. „Wir nutzen beispielsweise das sogenannte EMS-Training. Mithilfe dieser Technik können auch Patienten, deren Bewegungsapparat eingeschränkt ist, ein Muskeltraining durchführen. Des Weiteren wird das Vibrationstraining eingesetzt, das die Patienten auf einer Vibrationsplatte durchführen. Beginnend bei 18 Hz, einer Dauer von 40 Sekunden und vier bis sechs Wiederholungen dient das Training dazu, durch Chemotherapie induzierte Polyneuropathien (PNP) an den Händen und Füßen zu verhindern oder eine bereits vorhandene PNP zu reduzieren. Zwar sind die Mechanismen noch nicht vollständig geklärt. Man weiß aber, dass die Vibrationen Nervenzellen anregen, wodurch sich vorhandene Restfunktionen wieder aktivieren lassen.
Alternativ kommt das sensomotorische Training bei einer PNP zum Einsatz, genauso das sogenannte Impact-Training. Ähnlich wie bei der Step-Aerobic stampfen die Patienten dabei auf der Stelle. Dieser plötzliche Abbruch der Bewegung hilft gegen Osteoporose, die als Nebenwirkung medikamentöser Therapien auftreten kann.
Kontrolliertes Training auch nach Therapieende
Egal ob das Ziel Gewichtsregulierung oder Steigerung von Kraft und Ausdauer lautet: Für alle Krebspatienten eignet sich nach einer Behandlung grundsätzlich ein Kraftaufbauprogramm kombiniert mit einem Ausdauertraining. „Das baut die Muskulatur wieder auf und bringt das Herz-Kreislauf-System in Schwung“, sagt Prof. Baumann. Wichtig dabei: Auch hier müssen Art und Umfang von einem Bewegungstherapeuten festgelegt werden. Möchte jemand zum Beispiel Wassereinlagerungen reduzieren, sollte er die Belastungsintensität geringer wählen und stattdessen die Trainingszeit verlängern. Dies schwemmt die Gewebsflüssigkeit wieder aus. Genau das gegenteilige Programm ist beim Aufbau von Muskulatur angezeigt, heißt konkret: höhere Gewichte, die automatisch zu geringeren Wiederholungszahlen führen und den Muskel damit intensiv reizen. So wird sein Wachstum effektiv angeregt.