Bewegung Warum körperliche Aktivität schon während der Therapie sinnvoll ist
„Die Gewissheit, dass eine Bewegungstherapie die wirkungsvollste Supportivtherapie darstellt, ist weiter gestiegen. Mittlerweile haben das über 700 randomisierte Studien bestätigt“, sagt Privatdozent Dr. Freerk Baumann. Er ist Leiter der Arbeitsgruppe Onkologische Bewegungsmedizin im Centrum für Integrierte Onkologie an der Uniklinik Köln. „Man kann sagen, keine andere begleitende Therapie hat so vielseitiges Potenzial für Krebspatienten.“
Bessere Lebensqualität
So kann körperliches Training bereits nach Diagnosestellung einer Krebserkrankung die Nebenwirkungen der medizinischen Therapie abmildern und damit den Behandlungsverlauf verbessern. Studien zeigen, dass unter anderem das Fatiguesyndrom gehemmt, die körperliche Leistungsfähigkeit gefördert und psychische Belastungen stabilisiert werden.
„Ausreichende körperliche Aktivität im Alltag in Kombination mit gezielter Bewegungstherapie steigern die Lebensqualität der Patienten während ihrer Therapie und in der Nachsorge. Zudem zeigen erste Hinweise, dass bei einigen Krebserkrankungen auch das Gesamtüberleben verbessert werden könnte“, betont Dr. Baumann.
Aktiv bleiben und gezielt bewegen
Die konkrete Empfehlung des Sportwissenschaftlers lautet: Patienten müssen versuchen, ihre Alltagsaktivitäten aufrechtzuerhalten. Sofern möglich, sollten sie sich genauso bewegen wie vor der Krebsdiagnose. Das beugt Bewegungsmangelerkrankungen vor. „Auch wenn es schwer fällt und Motivation fehlt, Betroffene sollten versuchen, ihre üblichen Wege und Arbeiten weiterhin zu verrichten und nicht anderen zu überlassen“, erklärt Dr. Baumann.
Neben diesen Alltagsaktivitäten rät der Experte zu einer Bewegungstherapie, die genau auf die Nebenwirkungen der medizinischen Therapie zielt. Ob Operation, Antikörper-, Antihormon-, Chemo- oder Strahlentherapie, sie alle bringen Nebenwirkungen mit sich und beeinträchtigen den Patienten mehr oder weniger. Diese gilt es zu mindern oder möglichst ganz zu vermeiden.
Dabei gibt die jeweilige Krebserkrankung stets den Behandlungspfad vor: Spezielle Therapeuten richten die Bewegungstherapie nicht nur an der körperlichen Fitness ihrer Patienten aus, sondern vor allem auch an der Art und an der Schwere der Krebserkrankung und ihrer medizinischen Therapie.
Personalisierte Bewegungstherapie
Dank sportwissenschaftlicher Forschung werden solche Bewegungsprogramme immer individueller. „Das übergeordnete Ziel ist die Verbesserung der Lebensqualität des Patienten. Mittlerweile können wir so exakt arbeiten, dass eine genaue Definition der Ziele möglich wird“, berichtet Dr. Baumann und führt aus: „Hier muss der Patient helfen und gemeinsam mit uns im Dialog ein Ziel formulieren, damit wir fokussiert in seine gewünschte Richtung gehen können. Wir nennen diese Weiterentwicklung personalisierte Bewegungstherapie.“
Wurde vor einigen Jahren noch einfach eine Sportgruppe gebildet, die irgendwie drauflosmarschierte, wählen die Therapeuten heute passende Methoden der Trainingsintervention und Bewegungstherapie. Mit unterschiedlichsten Intensitäten, Inhalten und Regenerationsphasen schneidern sie dann für jeden Patienten ein individuelles Programm.
Neue Methoden: Strom, Vibration und Stampfen
„Zudem greifen wir auf alternative bewegungstherapeutische Methoden zurück. Hierzu gehört beispielsweise das sogenannte EMS-Training“, sagt Dr. Baumann. EMS steht für elektrische Muskelstimulation. Nieder- oder mittelfrequenter Strom lässt die Muskeln während leichter Bewegungsübungen anspannen. Der schwache Strom sorgt für den notwendigen Trainingsreiz, der Voraussetzung für das Muskelwachstum ist. Die elektrischen Impulse erfolgen über Elektroden, die einzeln an bestimmten Muskelgruppen oder sogar in speziell entwickelten Ganzkörper-Anzügen angebracht sind. „Mithilfe dieser Technik können auch Patienten, deren Bewegungsapparat eingeschränkt ist, Muskulaturtraining durchführen“, so der Experte.
Treten bei Patienten Nervenerkrankungen auf, wie etwa eine durch die Chemotherapie induzierte Polyneuropathie, setzen die Sportwissenschaftler unter anderem Vibrationsplatten ein. Die Vibrationen regen die Nervenzellen an und können vorhandene Restfunktionen wieder aktivieren.
Als weitere bewegungstherapeutische Methode kommt das sogenannte Impact-Training zum Einsatz. „Ähnlich wie bei der Step-Aerobic, stampfen die Patienten auf der Stelle. Dieser plötzliche Abbruch der Bewegung hilft gegen Osteoporose, die ebenfalls als Nebenwirkung medikamentöser Therapien auftreten kann.“
Professionelle Begleitung auch nach der Therapie
Ob zur Gewichtsregulierung oder zur Steigerung von Kraft und Ausdauer: „Für alle Patienten eignet sich nach einer Therapie grundsätzlich ein Kraftaufbautraining kombiniert mit einem Ausdauertraining. Das baut die Muskulatur wieder auf und bringt das Herz-Kreislauf-System in Schwung“, empfiehlt Dr. Baumann. Wichtig: Auch hier muss das Training von einem Bewegungstherapeuten festgelegt werden.
Möchte jemand zum Beispiel seine Wassereinlagerungen reduzieren, sollte er die Trainingsintensität geringer wählen und die Trainingszeit stattdessen verlängern. Das schwemmt die Gewebsflüssigkeit wieder aus. Genau das gegenteilige Training empfiehlt sich beim Aufbau von Muskulatur. Also höhere Gewichte, die automatisch zu geringeren Wiederholungszahlen führen und den Muskel so intensiv reizen, dass sein Wachstum angeregt wird.