Psychoonkologie Sport stärkt Körper und Geist

Autor: Perspektive LEBEN

Gerade in einer Gruppe von Mitbetroffenen kann Sport Patienten Entspannung und Freude bringen. © iStock/Thomas_EyeDesign, alvarez

Studien haben es längst bewiesen: Sport macht nicht nur Muskeln und Knochen fit. Er hilft auch, das Gehirn zu stärken und schlechte Laune zu vertreiben. Sport und Bewegung stärken also Körper, Geist und Seele gleichermaßen.

Sport wird meist mit Kraft, Geschwindigkeit und Geschicklichkeit in Verbindung gebracht. Wir denken an kräftige Muskeln und schlanke Körper. Wer Sport aus gesundheitlichen Aspekten betreibt, hat primär die Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder die Zuckerkrankheit im Blick.

Kaum einer denkt daran, dass Sport und Bewegung auch gut für die Nerven und die Seele sind. Dabei zeigen Studien schon lange, dass Sport und Bewegung auf die Psyche einen sehr großen Einfluss haben können. Und die deutschen Leitlinien zur Behandlung von vielen psychischen Erkrankungen sehen Sport und Bewegung schon lange als festen Therapiebestandteil vor.

Das richtige Maß ist wichtig für Patienten

„Unsere Empfehlung für die richtige Intensität ist ganz einfach“, sagt Professor Dr. Andreas Jochen Fallgatter, Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Tübingen. „Die Bewegung muss kreislaufwirksam sein. Das heißt, der Puls muss so weit hochgehen und die Atmung so weit beschleunigt werden, dass eine gute Unterhaltung gerade noch möglich ist.“

Dieses Maß ist für fast alle gut zu verwenden. Egal, welche Bewegung oder welcher Sport betrieben wird. Es gilt für Alt und Jung, für Trainierte und Untrainierte. „Dreimal 20 Minuten pro Woche reichen aus, um einen guten Effekt zu erzielen“, sagt Prof. Fallgatter. „Wer mehr machen will, sollte das unbedingt tun. Dabei gilt aber, dass nicht die Intensität, sondern nur die Dauer und Häufigkeit der Bewegung erhöht werden sollte – eine Unterhaltung sollte immer möglich sein.“

Bewegung macht Patienten glücklicher

Um den positiven Einfluss von intensiver körperlicher Bewegung auf die Psyche besser greifen zu können, wurden Patienten einer Klinik in zwei Gruppen aufgeteilt. Mit der einen Gruppe wurde, neben dem normalen Therapieprogramm, täglich intensiv Sport getrieben. Die andere Gruppe konnte sich in dieser Zeit, neben dem normalen Therapieprogramm, am Tischkicker die Zeit vertreiben.

In der Psychotherapie werden unterschiedliche Methoden angewendet, um den seelischen Status von Patienten zu erfassen. Die meisten Verfahren beruhen darauf, dass die Patienten eine subjektive Einschätzung ihres Zustandes mündlich oder schriftlich abgeben.

Die Auswertung der erhobenen Daten ergab, dass die Gruppe, die Sport getrieben hat, insgesamt einen besseren Zustand ihrer seelischen Verfassung beschreibt. „Die Ergebnisse sind eindeutig, wenn auch nicht vollständig belegbar“, sagt Prof. Fallgatter. „Der Grund dafür ist, dass psychische Erkrankungen in der Symptomatik und Behandlung sehr komplex sind. Bei der Behandlung müssen wir viele Faktoren berücksichtigen. Sport und Bewegung sind dabei einer unter vielen, aber ein wichtiger.“

Sport trainiert das Gehirn – und das Immunsystem

Dass Sport und Bewegung nicht nur die Muskeln, sondern auch das zentrale Nervensystem stärken und trainieren, konnte im Tierversuch nachgewiesen werden. Bei Tieren, die sich mehr als die Tiere einer Vergleichsgruppe bewegt haben, konnten sogar neue Nervenzellen in Gehirnbereichen, die wichtig für das Gedächtnis sind, nachgewiesen werden.

„Die genauen Zusammenhänge kennen wir hierzu noch nicht“, betont Prof. Fallgatter. „Klar ist aber, dass Sport und Bewegung das Gehirn auf Trab halten und es damit wohl fitter wird.“ Sport und Bewegung fordern also den ganzen Körper und trainieren damit auch wichtige Teile des Nervensystems der Patienten.

Welcher Sport für mich?

Ein paar einfache Regeln machen die Auswahl des besten Sports für den Patienten deutlich. Diese Regeln, die Sie befolgen sollten, lauten:

  • Den Arzt befragen: Er sagt mir, was ich meinem Körper jetzt zumuten kann.
  • Auf die eigene Stimme hören: Auf welchen Sport habe ich am meisten Lust?
  • Grenzen beachten: Kreislaufwirksam sporteln, aber bitte nicht an den Rand der körperlichen Belastbarkeit vorstoßen!

Jeder saß schon mal vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Manche graben sich dann immer tiefer in das Pro­blem ein – aber die Lösung will und will nicht gelingen. „Dann kann es an der Zeit sein, sich zu bewegen und die Stresshormone über die Bewegung abzubauen“, rät Prof. Fallgatter. „Meist reicht schon eine kleine Einheit kreislaufwirksame Aktivität für 20 Minuten. Die Denkleistung verbessert sich und die Lösung fällt dann oft viel leichter.“

Sport – gerade bei Depressionen

Psychische Erkrankungen haben viel mit Stress zu tun. Depressive Menschen und Menschen mit einer depressiven Verstimmung leiden oft an Dauerstress. Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von der sogenannten HPA(Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden)-Achse. Diese Achse ist ein ausgeklügeltes System, das über Hormone den Körper auf Kampf oder Flucht vorbereitet, wenn Gefahr droht. Es sorgt aber auch dafür, dass der Mensch wieder zur Ruhe kommt, wenn die Gefahr vorüber ist. „Typische Ratschläge bei Stress sind: Jetzt geh’ mal eine Runde laufen ...“, sagt Prof. Fallgatter.

„Genau diesen Effekt nutzen wir auch in der Therapie, wenn wir den Patienten mit Depressionen raten, Sport zu treiben.“ Bei Menschen mit Depres­sionen ist dieser Regelkreislauf oft verändert. Dem Körper wird dauernd vorgespielt, dass Gefahr droht. Diese Patienten sind im Dauerstress. Mit Bewegung können Stresshormone zum Teil abgebaut werden. Welcher Sport betrieben wird, ist im Grunde egal. „Hauptsache, er macht Spaß und wird regelmäßig ausgeübt“, sagt Prof. Fallgatter. „Besonders gut gelingt dies, wenn Sport in der Gruppe betrieben wird.“

Feste Termine und Verabredungen helfen, den inneren Schweinehund zu überwinden, und erhöhen die Selbstverpflichtung. Ganz besonders gut ist Tanzen. Es hat drei positive Effekte. Zum einen werden die Sinne über den Klang der Musik und die Umsetzung in die Tanzschritte besonders gefordert. Je nach Tempo und Ausdauer ist die Bewegung in jedem Fall kreislaufwirksam. Und zum Dritten werden schließlich die sozialen Kontakte gepflegt, die oft auch ein sehr guter Schutz vor seelischen Erkrankungen sein können.


Prof. Dr. Andreas Jochen Fallgatter, Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universität Tübingen © Privat