Keine Krebsdiät Ernährungsmythen bei Krebs: Bitte kein Alleingang!
Perspektive LEBEN nahm einige populäre Ernährungsmythen unter die Lupe und befragte die Ernährungsexpertin Dr. Silke Mittmann. Sie ist Oecotrophologin bei der Niedersächsischen Krebsgesellschaft in Hannover.
Individuelle Konzepte sind zwingend
Die Ernährung ist ein wichtiger Baustein der Krebstherapie. Ein guter Ernährungszustand beeinflusst den Krankheitsverlauf sowie die Lebensqualität positiv. Therapiebedingt kann es zu Geschmacksveränderungen kommen, einhergehend mit Appetitverlust und geringerer Nahrungszufuhr führt dies oft zu Gewichtsverlust. Vorrangiges Ziel einer begleitenden Ernährungstherapie ist es daher, das Gewicht der Patienten zu halten und den Körper mit allen lebenswichtigen Nährstoffen zu versorgen. „Da aber jede Krebserkrankung und -therapie unterschiedlich verläuft, benötigen Patienten individuelle Ernährungskonzepte“, stellt Dr. Mittmann fest. „Hat der Patient beispielsweise einen Tumor, der die Speiseröhre oder den Magen beeinflusst, muss ernährungsseitig anders unterstützt werden, als wenn ein Teil des Darms entfernt worden ist.“
Ernährungsmythos zuckerlimitierte Ernährung
Die meisten Ernährungsmythen passen nicht zu diesem nachvollziehbaren Konzept.
Bei der sogenannten ketogenen Diät wird die Zufuhr von Kohlenhydraten streng limitiert, stattdessen wird viel Fett und Eiweiß verzehrt. Diese Ernährungsform basiert auf der Annahme, dass Krebszellen einen eingeschränkten Stoffwechsel besitzen und besonders Glukose benötigen, um zu überleben, während normale Zellen problemlos Fette und Proteine verstoffwechseln können. Daraus entstanden ist die Idee, Tumoren mithilfe einer kohlenhydratarmen Diät quasi auszuhungern.
Keine glaubhaften Studien
Nachgewiesen ist, dass ketogene Diäten bei einer Reihe von Stoffwechselerkrankungen durchaus sinnvoll sein können. „Doch es gibt bisher keine seriöse Studie, die einen positiven Einfluss auf Krebserkrankungen – weder auf das Tumorwachstum noch auf die Metastasierung – wissenschaftlich belegen kann“, weiß Dr. Mittmann. Im Gegenteil: Hinweise aus Tierexperimenten zeigen, dass der Verzicht auf Kohlenhydrate kontraproduktiv sein könnte. Zum einen beschleunigte sich das Tumorwachstum ab einem gewissen Zeitpunkt sogar, zum anderen scheint der Verzicht auf Kohlenhydrate das Überleben von Tumorstammzellen zu fördern. Wissenschaftlich fundiert ist die ketogene Diät also nicht, zumal auch Tumorzellen sich prinzipiell mit allen Substraten, also auch Eiweiß beziehungsweise Fettsäuren, ernähren können.
Vorsicht vor Mangelernährung!
Ein Verzicht auf Kohlenhydrate ist daher nicht zu empfehlen. „Grundsätzlich ist Krebspatienten von einseitigen Ernährungsformen mit eingeschränkter Lebensmittelzufuhr abzuraten. Diäten bergen immer das Risiko, dass sich Mangelerscheinungen und ein verstärkter Gewichtsverlust einstellen“, warnt Dr. Mittmann. Schon gar nicht sollten derartige Kostformen ohne Absprache mit dem behandelnden Arzt durchgeführt werden. Was zudem auffällt: Oft werden diätetische Ratschläge dieser Art mit dem Kauf entsprechender Präparate verquickt. „Das ist unseriös und wird darüber hinaus häufig sehr kostspielig“, betont Dr. Mittmann und fügt hinzu: „Gerade hier gilt es, besonders wachsam zu sein, um nicht auf leere Versprechungen hereinzufallen und seine Gesundheit zu gefährden.“
Von Superfoods, Entsäuern, Entgiften und Co
Gerade im Internet trifft man immer wieder auf Diäten, die eine Krebstherapie unterstützen oder sogar ersetzen sollen. Seriöse Studien, die ihre Wirkungen eindeutig belegen, fehlen. „Allein schon der Begriff Diät weist auf eine einseitige Ernährung hin. Und die schadet einem Krebspatienten eher, als dass sie nutzt“, sagt Dr. Mittmann. Auch von der hoch dosierten Aufnahme einzelner Nährstoffe durch Nahrungsergänzungsmittel oder dem übermäßigen Verzehr sogenannter Superfoods, die einen hohen Anteil an Antioxidantien, Mineralstoffen und Vitaminen enthalten, rät die Expertin ab. Zu ihnen zählen etwa Brokkoli, Granatäpfel, Datteln, Chiasamen, Leinsamen, Sonnenblumen- und Kürbiskerne, Blau- und Acaibeeren, Sauerkirschen, Avocados oder Cranberries. Die positiven Wirkungen auf den Tumor sind bisher nur in Tierexperimenten nachgewiesen. Daraus lassen sich noch keine gesicherten Verzehrempfehlungen ableiten.
Zweifelhafte Empfehlungen werden oft auch nach einer Krebsbehandlung ausgesprochen. Beispiele hierfür sind das Entsäuern durch basische Lebensmittel, Entschlacken durch Tee- oder Saftkuren, Entgiften mit speziellen Smoothies oder das Ausleiten von Schadstoffen. Wissenschaftlich belegt ist auch das nicht. Fest steht, dass sich sogar nach einer Chemotherapie der Körper eigenständig entgiftet. Die meisten Zytostatika werden bereits innerhalb weniger Stunden oder Tage über Darm und Niere ausgeschieden.
Der abschließende Rat von Dr. Mittmann ist: „Jede Ernährungsumstellung während einer Krebstherapie und -nachsorge sollte stets mit dem behandelnden Arzt besprochen werden.“ Fast immer spart man so Aufwand – und lebt gleichzeitig gesünder.