Trotz Krebs in den Urlaub Reisen mit Krebs und raus aus dem Angstloch
Nach der Akutbehandlung und Rehabilitation versuchen Krebspatienten, möglichst rasch ins Leben und in den Alltag zurückzukommen. Das ist oft nicht ganz leicht, weil alles plötzlich ganz anders als vor der Diagnose und Behandlung ist. Der Alltag muss eine neue und vor allem belastbare Struktur sowie Ablauf bekommen.
Irgendwann kommt dann unweigerlich die Frage: Können wir trotz Krebs in den Urlaub fahren? „Ja! Fast alle Krebspatienten können in den Urlaub fahren“, sagt Olav Heringer, Onkologe im Medicum Facharztzentrum in Wiesbaden. „Natürlich müssen die Urlaubsart, der Ort und die Zeit auf die Tumorerkrankung, die Behandlung sowie die Kontroll- und Nachsorgetermine abgestimmt sein.“ Zusammen mit der Stiftung „Leben mit Krebs“ in Mainz organisiert und begleitet der Arzt Reisen für Krebspatienten.
Die Möglichkeiten nutzen
Die erste Urlaubsaktivität von Olav Heringer führte eine Wandergruppe von Krebspatienten ein Stück des Rheinsteigs entlang. „Ich war auf jede Eventualität vorbereitet und mein Rucksack war mit Medikamenten vollgepackt, riesig und schwer“, erzählt Olav Heringer und lacht dabei. „Das Einzige, was meine wandernden Krebspatienten aber tatsächlich gebraucht haben, waren Blasenpflaster und Kopfschmerztabletten, sonst nichts.“
Dem Arzt wird nach dieser Wanderung klar: Die Patienten und deren Umfeld müssen aus dem Angstloch raus. Die Teilnehmer merken auf den Reisen sehr schnell, was sie alles leisten können und wie sie die Lebensgeister wecken und erhalten. Das gilt für Reisende mit überstandener Krankheit genauso wie für Patienten, die palliativ unter einer kontinuierlichen Behandlung stehen.
Eingespieltes Team
Inzwischen sind die Reisen fester Bestandteil im Jahresablauf von Olav Heringer. Die aktuellen Reiseziele sind die Kitzbühler Alpen und Mallorca. Hierbei steht immer Bewegung in der Gruppe ohne jeglichen Zwang im Vordergrund. Anreise, Verpflegung, Unterkunft, Gebühren und so weiter werden von den Reisenden selbst bezahlt. Die Stiftung „Leben mit Krebs“ leistet für jedes Projekt einen Beitrag, der auf die Teilnehmenden verteilt wird.
Die Reisen werden mit 25 bis 50 Personen durchgeführt und von Ärzten und Pflegern begleitet. Die derzeitigen Projekte dauern immer eine Woche – meist beginnen sie samstags.
„Inzwischen haben wir sehr viel Erfahrung“, betont der Onkologe. „Die Patienten können sich also sehr sicher sein, dass die medizinische und fachliche Betreuung zu jedem Zeitpunkt gewährleistet ist.“ Die Reisenden können daher ganz entspannt Urlaub von der Krankheit und vom Alltag machen.
Bilanz ziehen
„Wir sind davon überzeugt, dass die körperliche Aktivität und der Austausch in der Gruppe zu einer Verbesserung der Lebensqualität beitragen“, sagt Olav Heringer. „Deshalb zeigen wir Patienten bei unseren Reisen, dass die Fitness in jeder Situation erhalten oder verbessert werden kann.“ Patienten sind immer wieder erstaunt, wie leicht zum Beispiel 16-km-Tageswanderungen in der Gruppe bewältigt werden können, auch wenn sie sich dies vorher gar nicht zugetraut haben. Wichtig dabei ist immer wieder, keinen Druck aufzubauen, sondern Angebote zu schaffen. So können die Patienten jederzeit z.B. eine Wanderung abbrechen und das Organisationsteam kümmert sich darum, dass sie wohlbehalten am Startpunkt wieder ankommen.
„Nach der anstrengenden Wanderung habe ich meine Tochter angerufen“, sagt Gerda B., 65 Jahre alt, aus Wiesbaden. Sie ist unheilbar an einem Hirntumor erkrankt. „Ich sagte ihr, dass ich, trotz der Anstrengung, wieder einen guten Tag auf der Haben-Seite meines Lebens verbuchen kann. Und ich habe ihr auch gesagt, dass sie schon als Gesunde darauf achten soll, dass sie mehr gute Tage im Haben verbuchen soll.“
Wir genießen den Applaus
Die Reisen begleiten Olav Heringer und sein Team ehrenamtlich und in der Freizeit. Lediglich die Kosten für die Unterkunft, Anreise und Verpflegung werden den Betreuern erstattet. „Wir engagieren uns für diese Reisen, weil uns die Behandlung der Patienten alleine zu wenig ist“, betont der Arzt. „Wir wollen die Patienten mit ihrer Krankheit im Leben begleiten und nicht nur am Leben halten – manchmal auch bis zum Ende.“
Für dieses Engagement bekommen die Organisatoren und Begleiter immer wieder Applaus von den Patienten und Partnern. Sie danken ihnen dafür, dass die Krankheit auf den Reisen ein Stück in den Hintergrund gedrängt wird. „Auch wenn uns keine wissenschaftlich exakten Werte vorliegen – wir sind davon überzeugt, dass unser Tun die Lebensqualität der Patienten verbessert und die gute Lebenszeit verlängert.“ Das ist Antrieb genug, sich für die Patienten und deren Angehörige zu engagieren.