Wirkstoffe Das Abwehrsystem des Körpers scharf stellen – Wem helfen Immuntherapien?

Autor: Jonathan Fasel

Ihr Arzt hat im Blick, ob diese Wirkstoffe bei Ihrer Krebserkrankung angewendet werden können. © Jenny Sturm – stock.adobe.com

Krebszellen können sich meisterlich vor den Angriffen des Immunsystems verstecken. Entweder tarnen sie sich so gut, dass sie vom Immunsystem nicht erkannt werden. Oder sie blockieren die Immunzellen in der Art, dass sie zwar erkannt, aber nicht abgetötet werden.  Wie Medikamente die Blockaden verhindern und was bei der Therapie zu beachten ist, können Sie im Folgenden erfahren.

In unserem Körper sind fast überall Abwehrzellen des Immunsystems unterwegs. Sie sind ständig auf der Suche nach entarteten Zellen und Fremdkörpern, die dem Körper schaden können. Im gesunden Körper werden diese schädlichen Stoffe zuverlässig erkannt, bekämpft und letztlich aus dem Körper entfernt.

Ist das Immunsystem aber übervorsichtig und zu aggressiv, greift es auch gesunde Zellen an. Fachleute sprechen dann von sogenannten Autoimmunkrankheiten. Ist das Immunsystem hingegen unvorsichtig und zu schwach, können sich Krankheiten, wie zum Beispiel Krebs, ungehemmt ausbreiten.

Die Balance aus Kampf und Schonen steuern zahlreiche Botenstoffe in unserem Körper. Sie docken an den sogenannten Kontrollpunkten oder Immuncheckpoints der Abwehrzellen an und signalisieren den Zellen, was zu tun ist, um das Immunsystem in der gesunden Balance zu halten.

Aktive Blockade

Krebszellen schaden dem Körper durch ihr oft völlig ungehemmtes Wachstum. Sie müssten daher als entartete Zellen vom Immunsystem erkannt und bekämpft werden. Lange Zeit war unklar, warum dies oft nicht der Fall ist. „Heute wissen wir, dass bestimmte Krebsarten die Immunzellen so blockieren, dass sie die Krebszellen zwar erkennen, aber vor der Erledigung ihrer Aufgabe abgetötet werden.“, sagt Professor Dr. Dr. Frank Mayer, Facharzt für Innere Medizin und Hämatologie und Onkologie, Friedrichshafen am Bodensee.

„Das heißt, der Krebs besetzt mit seinen Botenstoffen bestimmte Andockstellen auf den Immunzellen und signalisiert damit, dass die Immunzellen stillhalten und die Krebszellen nicht bekämpfen. Die Folge ist, dass der Krebs ungehemmt wachsen kann.“

Blockade lösen

Wissenschaftlern ist es mit Medikamenten gelungen, in diesen Kreislauf einzugreifen. Diese besetzen die Checkpoints so, dass die täuschenden Botenstoffe des Krebs wirkungslos bleiben. Fachleute sprechen dabei von den sogenannten Immuncheckpoint-Inhibitoren. Somit erkennt das Immunsystem die entarteten Zellen und kann sie auch wirksam bekämpfen. „Mit diesen Medikamenten stimulieren wir das körpereigene Immunsystem im Kampf gegen den Krebs“, erläutert Prof. Mayer.

Auf der Hut sein

Wird das Immunsystem allerdings zu stark stimuliert, können Immunzellen unter bestimmten Umständen auch gesundes Gewebe angreifen. Fachleute sprechen dann von sogenannten Autoimmun-Phänomenen durch die Tumorbehandlung. „Diese Reaktionen können am ganzen Körper und in jedem Organ auftreten“, erläutert Prof. Mayer. „Deshalb ist es wichtig, dass die Patienten und Ärzte ständig auf der Hut sind. Über die Untersuchungen des Arztes hinaus sollen Patienten sehr aufmerksam ihren Körper beobachten und bei Veränderungen sehr rasch den behandelnden Arzt informieren.“

Die Anwendung

Die ersten Immuncheckpoint-Inhibitoren wurden beim schwarzen Hautkrebs eingesetzt. Darauf folgten die Zulassungen für den Lungenkrebs und das Nierenzellkarzinom. Die Erfolge dieser Behandlungen sind zum Teil so groß, dass die Kranhkeitsanzeichen, zumindest zeitweise, vollständig zurückgedrängt werden können. „Wir Mediziner sprechen dann von einer sogenannten vollständigen Remission“, sagt Prof. Mayer. „Das heißt, dass keine Krankheitssymptome vorhanden sind und nichts mehr von dem Krebs zu erkennen ist. Das heißt leider noch nicht, dass die Erkrankung damit geheilt ist – auch wenn wir darauf zumindest bei einem Teil der Patienten hoffen.“

In der Zwischenzeit werden sehr viele Krebsarten und Erkrankungsstadien daraufhin untersucht, ob Immuncheckpoint-Inhibitoren eingesetzt werden können.

Neue Möglichkeiten der Behandlung

„Insbesondere beim Lungenkrebs, Kopf-/Hals-Tumoren und Lymphomen konnten erste sehr positive Ergebnisse erzielt werden“, sagt Prof. Mayer. Besonderen Fokus legen Mediziner und Wissenschaftler auch darauf, wie die Wirkstoffe sinnvoll mit Strahlen- und Chemotherapien kombiniert werden können. „Noch wissen wir nicht genau, wie und bei wem die Immuncheckpoint-Inhibitoren wirken“, betont Prof. Mayer. „In sehr vielen Fällen schaffen wir es, dass die Patienten ein fast normales Leben führen können.“


Prof. Dr. Dr. Frank Mayer, Facharzt für Innere Medizin und Hämatologie und Onkologie, Friedrichshafen am Bodensee © Privat