Immuntherapie Den Körper stärken gegen den Krebs
Das Immunsystem hat kein eigenes Organ, denn es muss im ganzen Körper patrouillieren, um so schnell und flexibel auf Eindringlinge reagieren zu können. Seine Aufgaben sind vielfältig: Es gilt, Krankheitserreger und fremde Zellen zu erkennen, sie zu bekämpfen und sich stetig an frühere Vorfälle zu erinnern. Diese hochkomplexen Prozesse der Immunverteidigung laufen in der Regel völlig unbemerkt ab. Nur manchmal, wenn Krankheitssymptome auftreten, machen die stillen Helfer auf sich aufmerksam.
Zwei Systeme spielen zusammen
„Der Körper hat ein faszinierendes System herausgebildet, das angeboren oder im Laufe des Lebens erworben, ihn in die Lage versetzt, sich immer wieder auf neue oder sich verändernde Erreger einzustellen“, so Professor Dr. Bernd Dörken, Tumorimmunologe der Charité Berlin.
Das Immunsystem besteht vereinfacht dargestellt im Wesentlichen aus zwei Hauptsystemen, dem Antikörper-Immunsystem – Ärzte nennen es humorales System – und dem zellulären Immunsystem. Die Produktion der Antikörper ist dabei Aufgabe der Plasmazellen. Diese werden durch die B-Lymphozyten, die zu den weißen Blutkörperchen gezählt werden, hergestellt.
Antikörper können sich an einen Fremdkörper binden, wenn dieser ein passendes Antigen aufweist – quasi wie Schloss und Schlüssel zueinanderpassen. Einmal aktiviert, können B-Lymphozyten zu antikörperproduzierenden Plasmazellen oder zu Gedächtniszellen ausdifferenzieren. So kann bei erneutem Kontakt mit einem dem Körper bereits bekannten Erreger innerhalb kurzer Zeit eine Immunreaktion erfolgen, die das Ausbrechen einer Infektion verhindern kann.
Zell-Polizei gegen den Krebs
„Das humorale System spielt bei der Abwehr von bakteriellen und viralen Infektionen eine große Rolle. Heute wissen wir jedoch, dass das zelluläre Immunsystem bei der Tumorabwehr eine vergleichsweise bedeutendere Rolle spielt.“
Prof. Dörken, der seit rund 25 Jahren an der Charité wegweisend forscht, erläutert die Zusammenhänge: „T-Lymphozyten, die Hauptakteure des Systems, werden wie alle Blutzellen im Knochenmark erzeugt. Sie wandern in den Thymus, wo diejenigen T-Lymphozyten ausgemustert werden, die auf körpereigene Substanzen reagieren würden. Übrig bleiben T-Lymphozyten, die nur körperfremde Antigene erkennen und körpereigene Zellen unbehelligt lassen. Läuft alles normal ab, dann unterscheidet das Immunsystem treffsicher zwischen gesunden und kranken, zwischen körperfremden und eigenen Zellen. Kommt es zu Störungen, dann wenden sich die Lymphozyten auch gegen körpereigenes Gewebe, Autoimmunkrankheiten entstehen. Problematisch wird die an sich funktionierende Immunabwehr dann, wenn beispielsweise bei der Transplantation von Organen eine ungewollte Abstoßungsreaktion erfolgt, der es durch entsprechende Gegenmaßnahmen – der sogenannten Immunsuppression – zu begegnen gilt.“
Mit den T-Lymphozyten steht das Immunsystem auch Tumorzellen nicht machtlos gegenüber. Zwar sind diese Zellen dem Körper nicht so fremd wie Viren, Bakterien oder Pilze. Dennoch werden sie – sofern der normale Immunschutzschirm besteht – meist problemlos identifiziert und ohne großes Aufheben beseitigt, eben weil sie erkennbar mutiert oder genetisch verändert sind.
Den Tumor überlisten
Wie es dennoch zum Wachsen des Tumors kommen kann, erläutert Prof. Dörken: „Tumoren sind listig und schlau. Sie entwickeln Mechanismen, um die T-Lymphozyten, die sie attackieren, lahmzulegen. Man kann sich das so vorstellen, dass T-Lymphozyten an ihrer Oberfläche einen Druckknopf zum Abschalten haben. Dieser hat normalerweise die Funktion, T-Lymphozyten im Zaum halten zu können. Tumoren machen sich das zunutze und entwickeln eine Art Zeigefinger, der in der Lage ist, den Druckknopf auf ,Aus‘ zu schalten.“
Die Wissenschaft forscht seit Jahrzehnten an Wegen, Tumorentwicklungen auf immunologischem Weg beizukommen. Über die Jahre haben sich einige Ansätze als besser, andere als weniger gut herausgestellt. „Jetzt aber ist uns erstmals der Durchbruch in der Immuntherapie gelungen“, stellt Prof. Dörken fest.
„Wir können die Blockade der T-Lymphozyten durch die Tumorzellen unterdrücken. Es ist wie ein Fausthandschuh, den wir den Tumorzellen über den Finger stülpen, sodass dieser den Ausschalter nicht mehr bedienen kann. Die T-Lymphozyten werden aktiv und können sich wieder gegen den Tumor wenden. Mit den Immun-Checkpoint-Inhibitoren haben wir schon ganz erstaunliche Ergebnisse erzielen können und wir verbinden damit die Hoffnung, dass dieser Forschungsansatz zukünftig dazu führen kann, dass der Tumor wie ein fremdes Organ vom Körper abgestoßen wird.“