Eine Ärztin als Krebspatientin Nach dem Darmkrebs glücklicher als zuvor
Ich bin in Göttingen geboren, studierte dort Medizin und arbeitete danach in unterschiedlichen Kliniken. Der Job macht mir nach wie vor Spaß, auch wenn die Nacht- und Wochenenddienste manchmal noch lästig sind.
Arbeit stand im Mittelpunkt
Die ersten Berufsjahrzehnte waren von Ehrgeiz geprägt. Ich wollte vorwärts kommen, besser werden – und das gelang mir auch so einigermaßen. Mit Mitte Vierzig war ich Oberärztin. Das beflügelte meine Motivation zusätzlich. Das Arbeitsaufkommen vergrößerte sich noch einmal. Es gab Jahre, in denen drehte sich alles nur um meinen Beruf.
Als Ausgleich diente mir meine Familie sowie gelegentlicher Sport im Tennisverein – im Sommer mehr als im Winter. Rückblickend muss ich gestehen, dass sich mein gesamtes soziales Umfeld meist nach mir beziehungsweise meinem Arbeitsrhythmus richten musste. Oft platzten Verabredungen mit Freunden, weil mich die Klinik rief.
Körperliche Bewegung kam zu kurz
Als Ärztin weiß man, wie ein menschlicher Körper funktioniert – und dass er Signale sendet, auf die man achten sollte. Mit Anfang Fünfzig erhielt ich Signale. Ignorierte sie aber erst einmal ein paar Jahre. So merkte ich etwa, dass ich schlecht einschlief, oft gestresst und unruhig war.
Meine Abteilung war knapper besetzt als noch Jahre zuvor, das Arbeitsaufkommen entsprechend hoch. In meiner Freizeit ruhte ich mich meistens aus. Körperliche Bewegung kam zu kurz. Ich nahm zu. Die sich einstellenden Unregelmäßigkeiten beim Stuhlgang schob ich auf meinen neuen Lebenswandel. Diesen werde ich zeitnah ändern, dann werde ich wieder die Alte, dachte ich. Es kam anders: Der Stress nahm weiter zu, die Signale blieben und wurden weiter missachtet.
Langes Zögern
An den unregelmäßigen Stuhlgang hatte ich mich gewöhnt. Als Ausrede dienten mir nun das zunehmende Alter und meine Wechseljahre. Aber irgendwann dachte ich das erste Mal über die längst fällige Darmkrebsvorsorge nach. Ein Unbehagen stieg in mir auf: Was, wenn Darmkrebs die Ursache wäre? Angetrieben von dieser unangenehmen Fragestellung, beschloss ich, zeitnah einen Termin zu machen.
Doch der Alltagsstress überdeckte meine Sorge und so wurde ich erst 15 Monate später bei einem Arzt vorstellig – als ich nämlich eines Morgens Blut in meinem Stuhl sah. Vier Tage später diagnostizierte der Gastroenterologe im Rahmen einer Darmspiegelung einen Darmtumor.
Ich blieb ruhig
Ich nahm die Nachricht verhältnismäßig ruhig auf – hatte ich doch schon länger damit gerechnet. Zwar wurde ich nach den darauffolgenden Untersuchungen etwas nervös – weil man nicht ausschließen konnte, dass der Tumor bereits Absiedelungen gebildet hatte. Und ich wusste, was das bedeuten kann. Doch als Ärztin vertraute ich auf die Medizin. Zudem wusste ich, welche Fortschritte die Krebsforschung gemacht hatte.
Einige Untersuchungen weiter kam zudem noch die Entwarnung: Absiedelungen seien eher unwahrscheinlich. Nach der Operation bekam ich eine Chemotherapie. Die haute mich wirklich um – körperlich. Ich war kraftlos und fühlte mich ständig schlecht. Mir war aber klar, dass das Ganze nur vorübergehend sein würde. Und den Haarausfall verbarg ich unter stylischen Kopftüchern.
Eine besondere Erfahrung
Nie hatte ich Angst davor, die Krankheit nicht besiegen zu können. Die anstrengende Zeit der Therapie verbuchte ich als besondere Lebenserfahrung. Dennoch hat sich seit dieser Zeit mein Leben deutlich geändert.
Ich beschäftigte mich in diesen Tagen intensiv mit der Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Sicherlich lässt sich selbst heutzutage nur in Ausnahmefällen bestimmen, wie eine Krebserkrankung entstanden ist beziehungsweise was ihre Entstehung begünstigt hat. Ich war mir in meinem Fall jedoch sicher, dass der Stress, zu wenig Freizeit, geringe körperliche Bewegung und Übergewicht dazu beitrugen. Nach überstandener Therapie sprach ich mit meinem Chef über die Reduzierung meiner Arbeitszeit um zwölf Wochenstunden. Er willigte ein.
Neuer Lebensmittelpunkt
Seitdem hat sich vieles verändert: Die verlorenen Pfunde während der Chemo standen mir gut. Überdies erleichterten sie mir den Einstieg in sportliche Aktivitäten – man kann sich einfach besser bewegen, wenn man zwölf Kilos weniger mit sich rumschleppt. Das Mehr an Freizeit verbringe ich mit meiner Familie und Freunden so oft es geht.
Ich esse jetzt weitestgehend vegan und fühle mich super damit. Die Arbeit bildet längst nicht mehr meinen Lebensmittelpunkt. Wahrscheinlich macht sie mir deshalb mehr Spaß denn je. Mein Leben ist ein anderes geworden. Ich blicke auf Selbstverständlichkeiten mit mehr Demut. Gehe Probleme deutlich gelassener an. Und ich bin mir bewusst, ein glücklicher Mensch zu sein. Glücklicher als vorher.