Wirkstoffe Wie wirkt eine Immuntherapie?

Autor: Dietmar Kupisch

Jedes Jahr kommen neue Medikamente für die Immuntherapie hinzu. © iStock/CIPhotos

Sie gilt als großer Hoffnungsträger der Onkologie. Die Immuntherapie bekämpft Krebs durch die gezielte Beeinflussung des körpereigenen Immunsystems. Die Behandlungserfolge bei einigen Krebserkrankungen gelten in Fachkreisen als Sensation.

Was ist eine Immuntherapie?

Professor Dr. Lars Bullinger: Grundsätzlich handelt es sich hierbei um einen Sammelbegriff, der verschiedene Behandlungsansätze zusammenfasst. Allen gemein ist, dass Medikamente das körpereigene Immunsystem nutzen, um einen Tumor zu bekämpfen.

Wie sehen denn die verschiedenen Behandlungsansätze aus?

Prof. Bullinger: Die Immuntherapie gibt es schon länger. Sie basiert stets auf dem Einsatz von sogenannten Antikörpern, also Wirkstoffen, die das Immunsystem in einer bestimmten Art und Weise aktivieren. Bereits vor über 20 Jahren wurde etwa in Deutschland ein solcher Antikörper gegen das Zelloberflächenmolekül CD20 zugelassen. Er richtet sich direkt gegen Tumorzellen. Direkt bedeutet, dass dieser Antikörper die Tumorzelle zielgerichtet markiert, sodass sie von dem Immunsystem erkannt und vernichtet werden kann.

Wenn es die Immuntherapie schon länger gibt, warum hört man erst in jüngster Zeit so viel Positives über sie?

Prof. Bullinger: Die Antwort liefert die aktuell genutzte Behandlungsstrategie. Im Vergleich zum oben beschriebenen Ansatz ist er auch für Tumore einsetzbar, die keine Ziele zur Markierung aufweisen: Man hat vor einigen Jahren erkannt, dass sich Tumorzellen tarnen wie gesundes Gewebe. Daher kann sie unser Immunsystem nicht entdecken. Sie manipulieren mit speziellen Eiweißen die sogenannten Checkpoints unseres Immunsystems. Diese Eiweiße interagieren mit den Abwehrzellen des Immunsystems, kurz T-Zellen, und setzen sie außer Kraft. Viele Tumoren entwickeln beispielsweise ein Eiweiß mit dem Namen Programmed Death Ligand 1, kurz PD-L1.

Wie nutzt die Onkologie diese Erkenntnisse?

Prof. Bullinger: Das lässt sich am Beispiel PD-L1 gut erklären: Man hat Antikörper entwickelt, die verhindern, dass PD-L1 mit den T-Zellen interagiert. Die Tumorzellen werden dadurch enttarnt, von den T-Zellen wieder erkannt und bekämpft. Von Jahr zu Jahr kommen neue Wirkstoffe hinzu. Aktuell werden zum Beispiel zwei Antikörper erfolgreich in der Lungen- und Hautkrebstherapie eingesetzt, die die PD-L1-Interaktion verhindern.

Kann die Immuntherapie bei jeder Krebsart eingesetzt werden?

Prof. Bullinger: Noch nicht überall, aber genau daran arbeitet die medizinische Forschung. So wurde kürzlich in Europa ein ganz neuer Behandlungsansatz zur Bekämpfung von Leukämien und Krebs des Lymphsystems zugelassen, die CAR-T-Zelltherapie. Hierbei werden die T-Zellen des Patienten in die Lage versetzt, die Tumorzellen direkt anzugreifen.

Wie genau funktioniert die CAR-T-Zelltherapie?

Prof. Bullinger: Zuerst entnimmt der Arzt weiße Blutkörperchen des Patienten. Anschließend werden sie im Labor gentechnisch verändert, vermehrt und über eine Infusion zurückgeführt. Die CAR-T-Zellen attackieren dann gezielt die Leukämiezellen und töten sie ab.

Müssen sich Patienten bei der Immuntherapie auf Nebenwirkungen einstellen?

Prof. Bullinger: Die Immuntherapie ist relativ gut verträglich. Als Nebenwirkungen sind vor allem Autoimmunerkrankungen bekannt, also Krankheiten, die ein gestörtes Immunsystem auslöst. Dabei können dann Gewebe oder Organe angegriffen werden.

Welches sind die häufigsten Beschwerden?

Prof. Bullinger: Die gute Nachricht lautet: Die meisten dieser Nebenwirkungen sind leicht. Werden sie zudem frühzeitig erkannt und entsprechend behandelt, bekommt man sie sehr gut in den Griff. Je nach eingesetztem Wirkstoff, kann eine Immuntherapie Hautausschlag oder Juckreiz hervorrufen. Auch Darm- oder Atembeschwerden sowie Funktionsstörungen der Schilddrüse kommen vor.

Wie wird zukünftig die weitere Entwicklung der Immuntherapie verlaufen?

Prof. Bullinger: Sicher ist, dass die Immuntherapie einen immer größeren Stellenwert in der Krebstherapie einnehmen wird. Insbesondere erwarten wir, dass sie zunehmend in der Erstlinien-Therapie eingesetzt wird – entweder allein oder in Kombination mit anderen Verfahren.

Was stützt die optimistische Perspektive?

Prof. Bullinger: Der diesbezüglichen onkologischen Forschung stehen immer bessere Technologien zur Verfügung. T-Zellen können demzufolge beispielsweise besser charakterisiert werden. Das führt dazu, dass die Möglichkeiten der Immuntherapie stetig krankheitsindividueller werden beziehungsweise immer mehr unterschiedliche Krebsarten bekämpft werden können.


Unser Experte Professor Dr. Lars Bullinger ist Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie an der Charité – Universitätsmedizin in Berlin © privat