Brustkrebs Eine Ärztin als Krebspatientin: „Ich fühlte mich allein“
Damals, vor sechs Jahren, war ich eine glückliche Frau: Meine Kinder machten mir und meinem Mann viel Freude, wir führten eine tolle Ehe und die eigene Praxis lief gut. Ich hatte seit vier Jahren einen kompetenten Partner mit an Bord. Wir teilten uns die Arbeitszeit auf.
Meine Work-Life-Balance, wie man neuerdings so schön sagt, war ideal. Die Familie machte zwei Mal im Jahr Urlaub, meist ging es nach Amerika oder in die Karibik. Wir lieben die Sonne, Strände und das warme Meer. Um es vorwegzunehmen: Ich bin immer noch eine glückliche Frau. Die Quellen meines heutigen Glücks sind jedoch mittlerweile andere.
Erst Ärger, dann Angst
Die Diagnose traf mich unvorbereitet, während einer Routineuntersuchung beim Frauenarzt. Ein Knoten in der Brust, den ich selbst nicht bemerkt hatte, wurde ertastet. Wenn ich heute daran zurückdenke, ärgert es mich: Wie konnte ich nur so dilettantisch auf meinen Körper achten?! Der Knoten war eigentlich recht deutlich zu ertasten! Und das passierte mir, einer Ärztin.
Im ersten Augenblick des Tastbefundes hoffte ich auf etwas Harmloses – versuchte gar nicht erst an das medizinisch Naheliegende zu denken. Doch mein Frauenarzt machte keinen Hehl aus seinen Vermutungen. Brustkrebs! Als er das aussprach, wurde mir kalt. Ich fühlte mich schlagartig allein und irgendwie einsam. Es war ein ausgesprochen merkwürdiges Gefühl. So, als gehörte ich ab sofort nicht mehr wie sonst zu meiner Familie. Denn dort waren ja alle gesund, im Gegensatz zu mir. Ich war anders und ich hatte Angst. Angst davor, wie sie reagieren würden. Angst, unsere heile Welt zu zerstören – und Angst vor der Zukunft.
Schlimmer als gedacht
Nach dem Frauenarzttermin ging ich nach Hause. Auf dem Weg rief ich meinen Mann bei der Arbeit an. Obwohl ich mir größte Mühe gab, stark und zuversichtlich zu klingen, merkte er sofort, dass etwas nicht stimmte – noch bevor ich mit der Sprache herausrückte. Mir wurde warm ums Herz. Bereits zu diesem Zeitpunkt merkte ich, wie wichtig er für mich ist. Wir beschlossen, erst die endgültigen Untersuchungen abzuwarten, die für die kommenden Tage angesetzt waren. Erst danach wollten wir die Kinder informieren.
Denn ich hatte noch etwas Hoffnung. Glaubte, da käme vielleicht noch eine Entwarnung. Doch ich klammerte mich an einen Strohhalm, den es gar nicht gab. Und einige Tage später bestätigten die Ergebnisse die Vermutungen meines Frauenarztes. Schlimmer noch: Der Tumor hatte bereits mehrere Lymphknoten befallen. Die hinter diesen Ergebnissen stehende Prognose machte mich fix und fertig. Ich sackte völlig zusammen, war nicht mehr die starke Person innerhalb der Familie. Diese Rolle übernahmen dann aber mein Mann und meine Kinder. Sehr eindrucksvoll, wie sich zeigte.
Mit der Familie gegen die psychische Belastung
Die Therapie belastete mich anfangs sehr. Zum einen beanspruchte sie meine körperlichen Kräfte, ich war schlapp und müde durch die lange Chemo. Aber wirklich schlimm wurde die psychische Belastung. Immer noch fühlte ich mich allein – als nicht mehr zur Familie gehörig. Das machte mich ganz irre. Ich beschloss, es mit meinem Mann zu besprechen, offen und ehrlich. Das war die Wende. Ab diesem Zeitpunkt ging es bergauf. Bei allen wichtigen Terminen, ob Bestrahlung, Chemo-Infusion, Therapiebesprechung oder natürlich der Operation, war meine Familie vollständig anwesend. Mein Mann organisierte alles. Sprach mit Lehrern und seinem Arbeitgeber, wenn nötig. Alle zeigten Verständnis. Dafür bin ich heute noch dankbar.
So wurde aus den unangenehmen Terminen stets eine Art Familientreffen. Das baute mich auf und gab mir viel Kraft. Vor allem, weil ich mich nicht mehr allein fühlte. Krank zwar, aber mitten in der Familie. In den Monaten der Therapien wurde ich stärker und stärker. Wir sprachen viel und saßen oft zusammen. Auch machten wir Ausflüge und trieben zusammen Sport, soweit meine Kondition dies zuließ. Gemeinsam mit meinen Lieben kam die Zuversicht zurück. Ich hätte vorher nie geglaubt, wie sehr mir dieser Zusammenhalt helfen würde. Ich fühlte mich geborgener denn je, wenngleich ich noch gar nicht wusste, ob ich die Krankheit überstehe.
Ich wurde ein anderer Mensch
Natürlich wurden durch diese intensive Zeit der Therapie und Nachsorge die familiären Beziehungen untereinander noch ausgeprägter. Für mich änderte sich aber zusätzlich noch die Sicht auf so manche Dinge. Die Krankheit hatte mir quasi einen neuen Charakterzug – eine neue Haltung – verliehen: Ich öffne mich nun mehr meiner sozialen Umwelt gegenüber. Ich bitte schneller um Hilfe, wenn ich sie brauche. Ich spreche über alles, was mich bewegt. Die Resonanz, die ich erhalte, belebt mich in den meisten Fällen.
Sie verschafft mir eine Leichtigkeit, mit der es sich besser durchs Leben gehen lässt. Ich praktiziere das mittlerweile in allen Lebenslagen, auch außerhalb der Familie. Es befreit und hilft, das Leben noch intensiver zu genießen. Heute gelte ich als geheilt – und habe sicherlich leicht reden, aber vor diesem Hintergrund möchte ich die Erkrankung beziehungsweise die gemachten Erfahrungen nicht vergessen.