Pflege Das Ganze im Blick: Die Betreuung schwerkranker Menschen zu Hause

Autor: MPL-Redaktion

Liebe, Zeit, Kraft, Zuwendung: Die Säulen für eine gelungene Begleitung schwerkranker Menschen. © iStock/Ake Ngiamsanguan; iStock/Astrid860

Wenn Heilung nicht mehr möglich ist, muss entschieden werden, wo und wie die letzten Schritte gegangen werden. ­Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie schwerkranke Patienten diese Schritte mit Verwandten und Freunden zu Hause gestalten können.

Ist eine Krebserkrankung zu weit fortgeschritten, können die heute möglichen Therapien keine Heilung mehr erreichen. Das betreuende Team aus Hausarzt, Palliativärzten und Pflegefachkräften konzentriert sich dann darauf, die Symptome möglichst gut zu behandeln, um so die Lebensqualität der Patienten zu erhalten.

„Oft haben diese Patienten lange Wege durch viele Therapien und Krankenhäuser zurückgelegt“, sagt Dr. Christina Paul, Oberärztin der Palliativstation in der Tropenklinik Paul-Lechler-Krankenhaus und ärztliche Leiterin des „Tübinger Projekts – Häusliche Betreuung Schwerkranker“. Daher stellt sich häufig die Frage: Wo sollen die letzten Schritte des Lebens gegangen werden, im Krankenhaus, Hospiz oder zu Hause und in vertrauter Umgebung?

Für das Leben arbeiten

Schon vor fast 30 Jahren haben sich Ärzte, Pflegefachkräfte und Psychologen sowie ambulante und stationäre Dienste im Landkreis Tübingen genau darüber Gedanken gemacht. Rasch wurde schon damals klar, dass Angehörige die Versorgung eines schwerkranken Patienten zu Hause meist nicht alleine schaffen können. Sie brauchen einen großen Strauß von Unterstützungen. Dies war 1991 der Beginn des „Tübinger Projekts – Häusliche Betreuung Schwerkranker“, einem Modellprojekt, aus dem sich die heutige spezialisierte ambulante Palliativversorgung bundesweit entwickelt hat.

„Die Versorgung beginnt zunächst mit den technischen Notwendigkeiten wie Pflegebett, Toilettenstuhl, Rollator, aber auch Essen auf Rädern, Medikamentenversorgung, Verbandsmaterial und so weiter“, so Dr. Paul. „Im Zentrum aber steht, dass wir für das Leben und die Lebensqualität der Patienten arbeiten.“

Das Team des Palliativdienstes stellt die bestmögliche Schmerztherapie und die Therapie zur Symptomkontrolle z.B. von Atemnot oder auch Übelkeit und Angst zusammen. Es berät und begleitet Patienten und Angehörige in allen mit der Erkrankung zusammenhängenden Fragen. „Unser Motto dabei ist, dass wir das Befinden der Patienten und Angehörigen und nicht die Befunde verbessern wollen“, ergänzt ein Krankenpfleger des Tübinger Projekts.

Zeit haben

„Zeit ist dabei der wichtigste Faktor“, sagt Dr. Paul. „Und dies gilt in zweifacher Hinsicht. Zum einen haben unsere Mitarbeiter keine Zeitvorgaben für ihre Arbeit. Sie nehmen sich genau die Zeit, die die Patienten und Angehörigen brauchen, um eine Situation gut zu bewältigen.“ Zum anderen besteht jeden Tag eine 24-Stunden-Rufbereitschaft. „So können sich die Patienten und Angehörigen sicher sein, dass sie, zum Beispiel bei plötzlichen Schmerzattacken, rasch Hilfe bekommen können“, sagt Dr. Paul. „Dies ist ein ganz wesentlicher Erfolgsfaktor für die gute Versorgung. Unsere Patienten und Angehörigen wissen, dass sie nie alleine sind, weil wir uns Zeit nehmen.“

Flächendeckend

Versicherte haben einen gesetzlichen Anspruch auf die Leistungen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV); das Tübinger Projekt hat dafür mit allen Krankenkassen einen Versorgungsvertrag abgeschlossen. Über die Hausärzte und niedergelassenen Fachärzte, aber auch über das Entlassmanagement in den Kliniken können sich Patienten und Angehörige über die Angebote der SAPV vor Ort informieren.

„Die Leistungen der SAPV sind fester Bestandteil des palliativen Netzwerks aus niedergelassenen Ärzten, Krankenhäusern, Pflegeheimen, Hospizdiensten und uns“, betont Dr. Paul. „Daher können sich Patienten und Angehörige sicher sein, dass sie auch zu Hause bestmöglich versorgt sind.“

Aus einer Hand

„Die kompetente Versorgung von schwer erkrankten Patienten zu Hause benötigt ein funktionierendes häusliches und soziales Umfeld“, betont Dr. Paul. „Dazu gehören vorrangig Angehörige, die in der Lage sind, die zusätzlichen Aufgaben einer häuslichen Betreuung zu übernehmen.“

Sind die Voraussetzungen erfüllt, übernimmt das Team des Tübinger Projekts die Vorbereitung der Entlassung aus dem Krankenhaus, koordiniert die technischen Maßnahmen im häuslichen Bereich und übernimmt dann alle palliativpflegerischen und palliativärztlichen Leistungen. Darüber hinaus berät das Team in allen Fragen rund um die Erkrankung.

Fünf Hüte

Trotz der intensiven Unterstützung durch einen ambulanten Palliativdienst haben die Angehörigen mindestens fünf Hüte auf. Sie sind Putzkraft, Koch, Kurierdienst, Pflegekraft, Partner und so weiter. „Diese ganzen Belastungen kosten sehr viel Kraft und erfordern großes Engagement“, so Dr. Paul. „Deshalb achten wir auch ganz genau auf die Angehörigen und stützen sie, wo immer es möglich ist.“

Als Joachim S., 59 Jahre alt und verwitwet, zum ersten Mal vom Tübinger Projekt erfuhr, war schnell klar, dass er seine Frau auf den letzten Schritten des Lebens zu Hause begleiten wird. Seine Frau war unheilbar an Brustkrebs erkrankt und es bestanden keine onkologischen Behandlungsmöglichkeiten mehr.

In der Rückschau fasst er die Arbeit der SAPV so zusammen: „Das Team des Tübinger Projekts hat uns den notwendigen fachlichen und menschlichen Rückhalt und die Sicherheit gegeben, dass wir das Richtige zu Hause tun konnten. Für meine Kinder und mich war das Projekt immer eine wertvolle Stütze.“

Immer gut versorgt

Gelingt die Betreuung zu Hause nicht, kommt unter Umständen auch der Aufenthalt in einem Pflegeheim infrage. Das Heim übernimmt dann die allgemeine Pflege und das Tübinger Projekt die palliative Versorgung. „Sind die Patienten alleinstehend oder ist es den Angehörigen nicht möglich, die Patienten zu Hause zu versorgen, muss die Versorgung in einem stationären Hospiz in Erwägung gezogen werden“, betont Dr. Paul.

„Wichtig dabei ist, dass je nach Gesundheitszustand zwischen den Versorgungssystemen gewechselt werden kann. So wird sichergestellt, dass wir immer das Ganze im Blick halten und die beste Lösung für den einzelnen Patienten und sein persönliches Umfeld finden können.“