Spezialisten gefragt Seltene Krebserkrankungen: Wenn die Diagnose exotisch wird

Autor: Perspektive LEBEN

Wenn endlich die richtige Diagnose gefunden ist, kann auch die richtige Behandlung einsetzen. Das beruhigt Betroffene enorm. © Thaut Images, jd-photodesign – stock.adobe.com

Das Problem an seltenen Krebserkrankungen ist – dass sie selten sind. Daher werden sie oft nicht rechtzeitig und richtig erkannt. Und dann auch noch unter Umständen falsch behandelt. Lesen Sie, mit welchen Fragen Sie die Spreu vom Weizen bei den Behandlern trennen können.

Eigentlich könnte es den Patienten egal sein, ob sie an einer häufigen oder seltenen Krebserkrankung leiden: Krebs ist Krebs und damit immer eine ernste Situation, die viel Aufmerksamkeit und Fachwissen erfordert. Aber so einfach ist es leider nicht.

Für die häufigen Krebsarten sind die Behandlungen inzwischen sehr gut ausgefeilt und werden permanent weiter verbessert. Für die meisten „häufigen“ Erkrankungen wurden darüber hinaus sogenannte Leitlinien entwickelt. Sie geben die Marschrichtung vor und haben sich bestens bewährt. Forscher und Mediziner können somit auf die Erfahrungen von tausenden Behandlungen bauen und zurückgreifen.

Sogenannte zertifizierte Behandlungszentren sind fast flächendeckend über Deutschland hinweg verteilt und stehen den Patienten in der Umgebung zur Verfügung. Dies gilt für seltene Krebserkrankungen nicht.

Wie oft ist selten?

In Europa wird eine Krebserkrankung als selten bezeichnet, wenn bei weniger als 6 von 100.000 Menschen pro Jahr eine Erkrankung festgestellt wird. Fachleute sprechen dabei von der sogenannten Inzidenz. Auf Deutschland bezogen bedeutet dies, dass eine Krebserkrankung selten ist, wenn weniger als ungefähr 5.000 Menschen betroffen sind.

Beispiele sollen „selten“ verdeutlichen: In Deutschland wird pro Jahr bei fast 500.000 Menschen eine Krebserkrankung neu festgestellt. Davon entfallen auf den Prostata-, Brust-, Lungen- und Darmkrebs über die Hälfte der Fälle. Dem Brustkrebs mit fast 60.000 neuen Fällen pro Jahr steht der Knochenkrebs mit nur knapp 700 Fällen pro Jahr gegenüber. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Onkologe mit einer solchen Krankheit konfrontiert wird, ist also niedrig.

Es gilt: Unbedingt ins Zentrum!

„Jede seltene Krebserkrankung sollte unbedingt in einem Zentrum untersucht oder behandelt werden“, sagt Professor Dr. Se­bastian Bauer vom Westdeutschen Tumorzentrum, Universitätsklinikum Essen. „Denn nur in einem entsprechenden Zentrum sind Teams aus Onkologen, Radioonkologen, Chirurgen und Pathologen in der Lage, Erfolg versprechende Therapiekonzepte zu entwickeln.“ Inzwischen liegen für einzelne seltene Krebserkrankungen auch schon Behandlungsleitlinien vor. Allerdings beruhen diese naturgemäß auf vergleichsweise wenigen Fällen.

Sind Ärzte und Kliniken nicht mit seltenen Krebserkrankungen vertraut, werden oft falsche Behandlungen gewählt und wertvolle Zeit verschenkt. „Das sehen wir leider immer wieder in unseren Sprechstunden“, betont Prof. Bauer. „Viele Patienten haben schon mehrere Behandlungen erfolglos durchgemacht, bevor sie zu uns kommen.“ Der erfahrene Arzt schätzt, dass ungefähr jeder dritte Patient erst sehr spät das Essener Zentrum für seltene Krebserkrankungen aufsucht.

Die Odyssee zur Diagnose

Birgit T., 54 Jahre alt, aus Essen, bemerkt am Bein eine kleine, zunächst schmerzlose Schwellung. Sie denkt sich anfänglich nichts dabei. Doch als sie zunehmend größer wird und auch schmerzt, geht sie zu ihrem Hausarzt. Dieser kann sich die Schwellung nicht erklären und schickt Birgit T. in die Orthopädie der nächstgelegenen Klinik. Die Untersuchungen zeigen schnell, dass es sich um einen vermeintlich harmlosen Knoten handelt, der leicht zu operieren ist. „Ich war zunächst beruhigt“, sagt Birgit T. „Dass ich operiert werden muss, hat mich zwar geärgert, aber ich hab mir gedacht, wenn’s weiter nichts ist ...“ Gesagt, getan. Doch nach einem halben Jahr kamen die Schmerzen und die Schwellung wieder. Nochmals wurde operiert.

„Als dann die Schmerzen und die Schwellung zum dritten Mal wiederkamen, wurde ich misstrauisch“, erinnert sich Birgit T. „Auch mein Hausarzt merkte, da stimmt was nicht.“ Er empfiehlt Birgit T., sich beim Tumorzentrum in Essen zu melden. Nach diversen Untersuchungen war die Diagnose rasch klar. Sie litt an einem seltenen Weichteilsarkom. Mit einer erneuten Operation, einer Chemo- und Strahlentherapie bekam sie die Krankheit endlich in den Griff.

Für Patienten gilt: Nur Mut!

„Diese Geschichte ist exemplarisch für viele“, sagt Prof. Bauer. „Und das ist auch die Krux!“ Denn wie soll eine Krankheit als selten erkannt und behandelt werden, wenn sie vom Behandler gar nicht erkannt wird? Dem Patienten bleibt in dieser Situation nur Eigeninitiative und Mut. „Er sollte direkt den Arzt fragen: Sind Sie mit der Behandlung dieser Erkrankungen vertraut? Wie oft behandeln Sie solch eine Erkrankung in dieser Klinik? Sind Sie für diese Behandlung als Zentrum zertifiziert? Wo kann ich diese Krankheit gut behandeln lassen?“, betont Prof. Bauer. „Wenn dabei die leisesten Zweifel entstehen, sollten sich Patienten unbedingt auf die Suche nach Spezialisten für ihre Krankheit machen!“ Die gute Nachricht ist dabei, dass das Wissen als solches meistens vorhanden ist. Aber, es muss gesucht und gefunden werden.

Die Informationen werden gesammelt

Bei der Suche nach einem entsprechenden Zentrum für eine spezielle Krebserkrankung ist der Hausarzt der erste Ansprechpartner. Er wird mit seinem Fachwissen die Richtung vorgeben können. Dann gilt es, mit den Zentren Kontakt aufzunehmen und Termine zu vereinbaren. Auf der Suche nach einem Zentrum hilft auch die Patientenorganisation „Das Lebenshaus“ gerne weiter. Auch auf europäischer Ebene wurde das Problem der seltenen Tumorerkrankungen erkannt. Derzeit arbeiten Experten daran, die vorhandenen Informationen zu seltenen Krebserkrankungen zu verdichten und dann auch bekannt zu machen.


Prof. Dr. Sebastian Bauer, Westdeutsches Tumorzentrum, Universitätsklinikum Essen © Privat