Therapiemethoden Mehr Sicherheit durch medizinische Zweitmeinung

Autor: Dietmar Kupisch

Oft ist es sinnvoll, sich eine Zweitmeinung einzuholen. © Pcess609 ‒ stock.adobe.com

Alle Krebspatient:innen stehen vor der schweren Entscheidung, welche Behandlung die richtige ist. Die Diagnose bietet meist Spielraum für ­Interpretationen. Onkolog:innen können nur beraten. Am Ende entscheiden die Betroffenen selbst. Umso wichtiger, dass sie im Zweifel mehr als eine ­Expert:innenmeinung hören. 

Mediziner:innen stützen sich bei ihren Behandlungsempfehlungen meist auf Leitlinien ihrer Fachgesellschaften. Diese basieren auf langjährigen Erfahrungen und internationalen Forschungsergebnissen und gelten daher als die Erfolg versprechendsten Optionen für die Patient:innen. 
Eine solch standardisierte Vorgehensweise ist jedoch nicht in allen Krankheitsstadien möglich. „Ist der Tumor fortgeschritten und finden sich bereits Metastasen in weiteren Organen, müssen die Behandlungen individualisierter werden. Es gibt zwar auch für diese Situation Leitlinien, doch die zu erwartenden Nebenwirkungen und Belastungen für die Patient:innen erfordern ein Vorgehen, das auch die persönliche Gesamtsituation mitberücksichtigt“, sagt Prof. Dr. Jochen Wedemeyer, Leiter der Klinik für Innere Medizin im niedersächsischen Klinikum Robert Koch, Gehrden. 

Komplexe Gesamtsituation

Zur Beurteilung dieser Gesamtsituation zählen – neben der spezifischen Krebserkrankung – vor allem Vorerkrankungen, das Alter und die körperliche Verfassung. „Unsere Erfahrungen zeigen, dass Patient:innen, die neben ihrer Krankheit weiter belastende Faktoren aufweisen, oft nach einer Zweitmeinung fragen“, berichtet Prof. Wedemeyer und betont: „Für uns ist das absolut nachvollziehbar. Und wir raten sogar dazu, weil es durch die vorherrschende Komplexität keinen standardisierten Behandlungsweg mehr gibt.“ Dieser muss stattdessen stark individualisiert werden.

Hinzu kommt: Diagnosen und Handlungsempfehlungen sind bei bestimmten Krebsarten nicht immer eindeutig. Sitzt beispielsweise der Tumor beim Mastdarmkrebs im unteren Abschnitt, also sehr nahe dem Darmausgang und Schließmuskel? Oder ist er bereits vollständig durch die Darmwand hindurch gewachsen und hat umliegendes Gewebe erreicht? Dann gibt es mehrere Behandlungsoptionen. „Krankheitsbilder dieser Art rechtfertigen das Einholen einer qualifizierten Zweitmeinung“, stellt Prof. Wedemeyer fest.

Zweitmeinung richtig einholen

  • Einen gesetzlichen Anspruch auf eine onkologische Zweitmeinung hat man nicht. Deshalb zuvor mit der Krankenkasse sprechen. In der Regel übernehmen sie aber die Kosten für die erneute ärztliche Konsultation.
  • Wenn die Krankenkasse keine Vertragsärzt:innen dafür benennt, sollte man ein zertifiziertes Krebszentrum dafür auswählen. Hier gibt es Tumorkonferenzen mit Expert:innen verschiedener Fachrichtungen.
  • Die Zweitgutachter:innen benötigen alle Unterlagen, auf die sich die erste Diagnose gründet: Röntgen-/CT-Bilder, Laborbefunde, eine Zusammenfassung der Diagnose und den Arztbrief.
  • Nach Erhalt der zweiten Meinung diese mit dem erstbehandelnden Arzt bzw. der Ärztin besprechen.

Akzeptiertes Vorgehen

Weitere Gründe für eine Zweitmeinung liegen vor, wenn der behandelnde Arzt oder die Ärztin den Patient:innen mehrere Therapiealternativen vorstellt und er oder sie nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen. Auch eine Unsicherheit, ob die Therapieempfehlung tatsächlich die beste ist, muss ausgeräumt werden. Denn die Akzeptanz einer Therapie entscheidet mit über ihren Erfolg. Deshalb kann eine Zweitmeinung auch bei Patient:innen ohne relevante Nebenerkrankungen, denen eine standardisierte Therapie empfohlen wird, sinnvoll sein. Die Bestätigung durch einen weiteren Experten oder eine Expertin kann die eigene Überzeugung für eine Therapie deutlich stärken. Ist das Verhältnis zum behandelnden Arzt oder der Ärztin getrübt, sollte man sich ebenfalls um eine solche Expertise bemühen.

Laut der schriftlichen Befragung der Bertelsmann-Stiftung und der BARMER GEK entschieden sich drei von vier Menschen um, nachdem sie eine zweite ärztliche Meinung erhalten hatten. Eine Zweitmeinung einzuholen, ist in der Ärzteschaft mittlerweile ein akzeptiertes Vorgehen. Patient:innen müssen nicht befürchten, dass der/die Erstbehandler/in beleidigt sein könnte, weil er oder sie die Entscheidung als Misstrauen interpretieren könnte. Auch Prof. Wedemeyer gibt Entwarnung: „Diese Annahme ist unbegründet. Diese verständliche Bitte ist sehr menschlich. Und jede/r weiß, sie hat nichts mit Misstrauen zu tun. Behandelnde, die ihren Patient:innen eine bestmögliche Therapie zukommen lassen möchten, werden den Wunsch nach einer Zweitmeinung unterstützen. Zudem können sie davon ausgehen, dass die Zweitmeinung ihre Empfehlung bestätigt.“