Unterstützung Schlechte Prognose: Wer kann jetzt helfen?
Mit einer Krebsdiagnose beginnt immer ein neuer Lebensabschnitt. Nichts ist so wie vorher. Angst macht sich breit und viele, oft zu viele Gedanken schießen durch den Kopf. Plötzlich ist man selbst betroffen – was früher abstrakt war, wird jetzt konkret. Was dabei gut klingt, ist auch gut. Zum Beispiel die immer besseren Behandlungsmöglichkeiten – ebenso wie die Zeit, die jetzt intensiver genutzt werden kann.
Was schrecklich klingt, ist auch schrecklich. Besonders dann, wenn die Prognose nicht besonders gut ist. „Die Patienten und deren Angehörige befinden sich dann meist in einer Art Ausnahmezustand“, sagt Diplom-Psychologin Jana Weinhold, Leiterin der Psychoonkologie am RoMed Klinikum in Rosenheim. „Das ist ganz normal und ist Teil der Bewältigungsstrategie von uns Menschen.“
Viel Leben
Egal, wie ernst die Diagnose ist: Die meisten Menschen finden für sich und ihr Umfeld einen Weg, wie sie die verbleibende Zeit gut nutzen können. Und dabei ist ganz wichtig, zu erkennen, dass Leben nicht nur als Zeitspanne definiert wird: Je länger, je besser.
Jetzt ist viel wichtiger, das Leben auch unter dem Aspekt von Qualität zu verstehen: Die absolute Konzentration auf das Wichtigste und die Erhaltung von Lebensqualität sind jetzt gefordert. „Patienten beschreiben diese ‚Zwischenzeit‘ oft als die bewussteste Zeit in ihrem ganzen Leben“, sagt die erfahrene Psychoonkologin. „Wenn wir den Patienten und Angehörigen vermitteln können, dass noch viel intensives Leben vor ihnen liegt, merken wir, wie diese Menschen die innere Ruhe zurückgewinnen.“
Thermometer der Belastung
Ob und wann Patienten oder ihr Umfeld Hilfe brauchen, erkennen zum Teil die Ärzte und Pfleger im Krankenhaus. Aber auch der niedergelassene Arzt spürt recht schnell, ob etwas im Argen liegt oder nicht. „Wichtig ist, dass Angehörige und Freunde das Umfeld der Patienten mit beobachten“, betont Jana Weinhold. „Es gilt, nicht nur auf die Patienten zu achten.“ Denn wenn eine schlechte Prognose ausgesprochen werden muss, ist fast immer auch das Umfeld mit betroffen. Dazu gehören natürlich die Kinder, Ehepartner und gute Freunde. Fachleute sprechen davon, dass das ganze System betroffen ist und nun im Fokus stehen muss.
Neben den persönlichen Beobachtungen setzt Jana Weinhold auch konsequent auf das sogenannte Distress-Thermometer. Auf einer DIN-A4-Seite werden den Betroffenen wenige Fragen zu ihrer persönlichen Belastungssituation gestellt. „Die Antworten sind für uns sehr wichtige Zeiger dafür, wie es um die Patienten und Angehörigen steht“, sagt Jana Weinhold. „Wichtig ist, dass dieses Instrument immer wieder eingesetzt wird.“ So können Veränderungen rasch erkannt werden – und gegebenenfalls kann gegengesteuert werden.
Der besondere Raum
Oliver R. aus Rosenheim ist zum Zeitpunkt der ersten Diagnose 52 Jahre alt. Seine drei Kinder sind 15, 19 und 22 Jahre jung. Seine Frau und er haben schon während der Untersuchungen geahnt, dass Oliver R. an einem Magenkrebs leidet. Die Familie nimmt die Diagnose nicht auf die leichte Schulter, scheint aber zuversichtlich und guter Hoffnung, dass dies nur ein kurzes dunkles Kapitel im Leben der Familie sein wird. Jana Weinhold erinnert sich gut. „Oliver R. erreichte im Distress-Thermometer einen unauffälligen Wert und wirkte im Kontakt optimistisch.“ Zu diesem Zeitpunkt bestand kein Bedarf an psychoonkologischer Unterstützung.
Doch wenige Monate nach der ersten Operation muss Oliver R. wieder ins Krankenhaus – als Notfall. Er kann kaum noch schlucken und hat starke Schmerzen. Das Distress-Thermometer zeigt sich nun auffällig. „Das Besondere war aber, dass sich Oliver R. über seine medizinische Situation im Klaren war“, sagt Jana Weinhold. „Ihm war bewusst, dass er bald sterben würde.“
Er brauchte Hilfe, um sich von seiner Familie, insbesondere von seinem jüngsten Kind, zu verabschieden. Dafür hatte er bisher noch keinen eigenen Weg für sich gefunden. Das löste bei ihm eine hohe Verunsicherung aus und trieb das Distress-Thermometer in die Höhe. Deshalb nahm Oliver R. jetzt die Unterstützung der Psychoonkologin in Anspruch.
„In kurzen, aber sehr intensiven Gesprächen konnten wir einen Weg finden“, erinnert sich Jana Weinhold. „Er verwendete ein Bild, das auch sein Sohn gut annehmen konnte: Stell dir vor, ich bin in einem Raum, den du nicht betreten kannst und aus dem ich nicht herauskommen kann. Aber ich kann dich immer hören, wenn du zu mir sprichst oder mich etwas fragst. Manchmal werde ich dir auch antworten können ...“