Hilfe für die Seele Sicherheit im Netz der Familie
Die Diagnose und die Behandlung von Krebs verändern das Leben der Patienten schlagartig und tief greifend. Dann gilt, dass die volle Konzentration auf die Behandlung und Rehabilitation gelenkt wird. Wird die Belastung der Seele allerdings zu groß, stehen den Patienten Psychoonkologen in den Zentren und Rehakliniken bereit.
„Diese wichtige und richtige Konzentration auf den Patienten verstellt aber manchmal den Blick auf das Umfeld des Betroffenen“, sagt Professor Dr. Bernhard Strauß, Direktor des Instituts für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Jena. „Seit zehn Jahren nehmen wir daher auch die Angehörigen und Partner der Patienten in die psychoonkologische Betreuung mit auf.“
Angehörige: Patienten zweiter Ordnung
Eine schwere Erkrankung betrifft immer auch Partner, Angehörige und Kinder der Patienten. Eine wesentliche Bedrohung ist natürlich der mögliche Verlust. Aber auch finanzielle Sorgen und Nöte können die unmittelbare Folge der Krankheit sein und Angst auslösen.
Darüber hinaus spüren viele, dass sich das soziale Umfeld verändert. „Immer wieder berichten mir Patienten und Angehörige, dass sich Freunde und Verwandte zurückziehen und den Kontakt meiden“, sagt Prof. Strauß. „Sie nehmen Krebs als eine Bedrohung wahr, der sie unwillkürlich ausweichen wollen.“
Angehörige sind also auch quasi Patienten. Fachleute bezeichnen sie als Patienten zweiter Ordnung. Die seelischen Belastungen bei dieser Gruppe zu erkennen und einzuschätzen, sind die gleichen Aufgaben wie bei den Krebspatienten selbst. Die Strategien, die Seele wieder ins Lot zu bringen, unterscheiden sich dagegen entscheidend. „Kein Fall ist wie der andere“, betont Prof. Strauß. „Jedes Familienmitglied ist anders und hat andere Sorgen oder Ängste.“
Hilfe muss man einfordern
Schätzungen zufolge benötigt etwa die Hälfte aller Tumorpatienten Unterstützungen durch einen Psychoonkologen, um depressive Verstimmungen, Depressionen und Angstattacken besser zu beherrschen. Ungefähr 30 Prozent der Angehörigen sind so stark durch die Erkrankung des Verwandten belastet, dass sie Unterstützung brauchen.
„Diese Unterstützung muss oft viel später als die eigentliche Tumorbehandlung einsetzen, weil die Belastungen häufig später einsetzen oder erkannt werden“, sagt Prof. Strauß. „Daher sind die Angebote der sogenannten sektorübergreifenden Unterstützung der Tumorpatienten und ihrer Angehörigen so wichtig.“ Dies sind die Beratungen, die unabhängig von Krankenhäusern, Behandlungen, Rehazentren und dergleichen genutzt werden können.
Hilfe zur Selbsthilfe
Im Krankenhaus, bei den Sozialen Diensten oder direkt beim Psychoonkologen kann Hilfe eingeholt werden. Auch der Fach- und Hausarzt kann Adressen nennen, bei denen Hilfe eingeholt werden kann.
Unter www.krebsinformationsdienst.de/wegweiser/adressen/krebsberatungsstellen.php und http://www.krebshilfe.de/wir-helfen/adressen/anlaufstellen.html?L=0id%253D344 werden Adressen für psychosoziale Krebsberatungsstellen aufgeführt. Auch die Krankenkassen und Gesundheitsämter geben gerne Auskunft.
Das stabile Umfeld ist wichtig
Dies ist deshalb so wichtig, weil die normalen Lebensumstände während und nach einer Krebserkrankung sowohl für den Patienten als auch für die Angehörigen heftig durcheinandergewirbelt werden. Sie wieder in geordnete Bahnen zurückzubringen, kann meist nur dann gut gelingen, wenn die Seele bei allen Beteiligten einigermaßen im Lot ist. Zudem müssen immer wieder neue Herausforderungen im Zusammenhang mit der Erkrankung gemeistert werden.
„Viele Patienten und Angehörige finden einen Weg der Krankheitsbewältigung ohne Hilfe von außen“, betont Prof. Strauß. „Wenn die Angst überhandgewinnt, nur noch Hilflosigkeit empfunden wird, Mücken zu Elefanten werden und der Schlaf nicht mehr erholsam ist, müssen für Patient und Angehörige Hilfen geschaffen werden.“
Erster Ansprechpartner ist für die Angehörigen meist der Hausarzt. Er übernimmt die Lotsenfunktion zu den Einrichtungen, die helfen, Belastungen der Seele besser zu überwinden. Kirchen und Glaubensgemeinschaften sowie Selbsthilfegruppen können zudem Wege aufzeigen oder auch helfen.
Die eigene Erfahrung macht Mut
Aus der Sicht nach einer überstandenen Krebstherapie raten die meisten Patienten dazu, dass sich Patienten und Angehörige schon während der Behandlung eine geeignete psychologische Hilfe organisieren sollen. „Oft ist es jedoch so, dass man noch während der Behandlung glaubt, man brauche das alles gar nicht“, sagt Steffi Fröhlich, Brustkrebspatientin und Bloggerin.
„Ich war damals mit der Krebsdiagnose, der Behandlung, den Nebenwirkungen und den unzähligen Arztbesuchen so ge- und überfordert, dass ich gar nicht gemerkt habe, wie meine kleine Welt um mich herum zusammenbricht. Mein Mann hatte oft mehr Angst um mich als ich selbst. Deswegen wollte er über Krebs und die Zukunft nie sprechen. Er wollte das Ganze einfach aussitzen und darauf hoffen, dass irgendwann einfach alles so wird, wie es war.“
Viele Angehörige brauchen Entlastung
Dann wendet sich das Blatt nach der abgeschlossenen Therapie. Der große Sohn wird der Mutter gegenüber auf einmal schrecklich aggressiv. Der kleine Sohn wird erst in der Schule schlecht, dann entwickelt er extreme Ängste. „Auch mein Tag füllte sich zusehends mit Angst- und Panikattacken. Mit meinem Mann, der gedacht hatte, wir könnten wieder zum Alltag übergehen, gab es immer mehr Streit“, erzählt Steffi Fröhlich. „Als ich nicht mehr weiterwusste und merkte, dass alles aus dem Ruder läuft, suchten wir uns Hilfe.“
Die Familie arbeitet sechs Monate beharrlich daran, bis für jeden ein geeigneter Therapieplatz gefunden wird. Den Kindern hilft ein Kinderpsychologe. Den Eltern steht ein Paartherapeut und der Mutter ein Psychoonkologe zur Seite. „Für uns war und ist es noch heute, auch nach Jahren, immer noch ein schwieriger Weg, den Krebs und seine Konsequenzen zu akzeptieren. Eine gute psychologische Betreuung während und nach der Krebstherapie ist daher immer sinnvoll“, betont Steffi Fröhlich, die in ihrem Blog ganz offen über Ängste, Depressionen und Partnerschaft schreibt. „Und ich habe gelernt, dass für Kinder und den Partner die Belastungen manchmal noch schlimmer als für mich selbst sind – und: dass auch sie Patienten sind.“