Komplementärmedizin Die Misteltherapie: Wozu sie sich eignet

Autor: MPL-Redaktion

„In der Onkologie setzen wir die Misteltherapie vor allem begleitend ein." © PhotoSG – stock.adobe.com

Die Mistel wurde schon vor Jahrtausenden verwendet, im Zusammenhang mit Krebserkrankungen aber erst seit rund 100 Jahren. Einige Fachleute sehen die Anwendung kritisch. Perspektive LEBEN hat für Sie recherchiert, welche Rolle eine Misteltherapie im Rahmen einer Krebsbehandlung spielen kann.

„Die Misteltherapie bei Krebserkrankungen stammt ursprünglich aus der anthroposophischen, also nicht aus der naturwissenschaftlich orientierten Medizin. Sie wurde als Teil eines ganzheitlichen medizinischen Ansatzes begriffen“, so Wolfgang Doerfler, Facharzt für Neurologie und Arzt für Naturheilverfahren am Tumorzentrum München, einer gemeinsamen Einrichtung der Ludwig-Maximilians-Universität und Technischen Universität München. „Die Misteltherapie ist ein echtes naturheilkundliches Therapieverfahren und gehört zur Pflanzenheilkunde“, stellt der Experte klar.

Unumstößliche Beweise fehlen

In der anthroposophischen Medizin werden Inhaltsstoffe der Mistel auch zur unmittelbaren Tumorbekämpfung verwendet. „Tatsächlich wurde in Laborversuchen aufgezeigt, dass Inhaltsstoffe der Mistel Tumorzellen hemmen, unumstößliche wissenschaftliche Beweise für diese Wirkung am Menschen gibt es allerdings noch nicht“, erläutert Wolfgang Doerfler und ergänzt: „In der Onkologie setzen wir die Misteltherapie vor allem begleitend beziehungsweise unterstützend ein.“ Übrigens wird die Misteltherapie in anderen Ländern deutlich seltener als in Deutschland verwendet – oder überhaupt nicht. In den USA sind Mistelpräparate beispielsweise nicht zugelassen und finden nur Anwendung innerhalb klinischer Studien.

Genaue Wirkung – eher unbekannt

Wie und welche Inhaltsstoffe der Mistel wirken, ist allerdings nicht genau bekannt. „Es scheint ein Bündel von Inhaltsstoffen zu sein, das vielfältig wirkt“, kommentiert Wolfgang Doerfler. „Die wichtigsten sind die sogenannten Lektine und Viscotoxine, die eine zytotoxische Wirkung haben. Zudem wirken bestimmte Inhaltsstoffe anregend auf das körpereigene Immunsystem.“

Entscheidend für die Gesamtwirkung ist jedoch das Zusammenspiel aller Bestandteile. Isoliert wirken die Inhaltsstoffe anders als im Verbund.

Misteln: ausdauernde Gewächse

Misteln wachsen auf Stämmen, Ästen und Zweigen von Gehölzen. In Mitteleuropa werden mit dem Begriff „Misteln“ insbesondere Pflanzen der Gattung Viscum aus der Familie der Sandel­holzgewächse bezeichnet.

Misteln sind halb­parasitische Sträucher. Vor allem in den Tropen und Subtropen kommt diese ­spezielle Lebensform auch in weiteren Pflanzenfamilien vor.

Hilfreich als supportive Therapie

Studien haben gezeigt, dass die Misteltherapie im Rahmen einer Krebsbehandlung als supportive Therapie hilfreich sein kann. Supportive Therapien dienen nicht primär der Heilung einer Erkrankung, sondern können den Heilungsprozess unterstützen oder die Symptome abschwächen.

„So setzen wir die Misteltherapie begleitend zur Chemotherapie ein. Und zwar dann, wenn besonders viele oder starke Nebenwirkungen auftreten“, sagt Wolfgang Doerfler und führt aus: „Eine Misteltherapie ist für den Patienten relativ aufwendig. Man würde sie daher nicht bei nur wenigen schwachen Nebenwirkungen empfehlen. Der Aufwand würde den Nutzen nicht rechtfertigen.“

Patienten behandeln sich häufig selbst

Den Mistelextrakt spritzen sich Patienten in der Regel selbst unter die Haut. Tabletten werden nicht angeboten. Infrage kommende Körperstellen sind etwa die Bauchhaut, der Oberarm oder der Oberschenkel – seltener sind Injektionen direkt in eine Vene.

Mit etwas Übung können sich Patienten die Spritzen selbst geben. Die Dauer der Therapie wird gemeinsam mit dem behandelnden Arzt besprochen. „Treten nun im Rahmen einer Chemotherapie mehrere Nebenwirkungen auf, wie beispielsweise Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Depressionen oder Erbrechen, lohnt manchmal der Einsatz einer Misteltherapie“, so Wolfgang Doerfler. „Auch stärkt sie das Immunsystem, das unter der Therapie geschwächt wird."

Auf Wechselwirkungen achten

Der Experte weist ferner darauf hin, dass das Mistelextrakt Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten hervorrufen kann. Und bei Fieber oder Infektionen rät er von einer Anwendung ab. Daher sollte der Einsatz stets mit dem behandelnden Arzt besprochen, geplant und regelmäßig überprüft werden. „Andernfalls bestünde etwa das Risiko, dass die Primärtherapie ihre Wirkung nicht optimal entfalten kann. Das muss unbedingt vermieden werden“, mahnt Wolfgang Doerfler und berichtet: „Normalerweise treten bei einer Chemotherapie keine Wechselwirkungsprobleme auf. Schwieriger wird es bei Immuntherapeutika. Hier könnten unerwünschte Wechselwirkungen durchaus vorkommen.“

Eigene Nebenwirkungen ruft eine Misteltherapie eher selten hervor. Die meisten Patienten vertragen die Behandlung gut: Manchmal treten Allergien oder Entzündungsreaktionen an der Einstichstelle auf.

In Deutschland sind Mistelpräparate rezeptfrei. Da rezeptfreie Medikamente nicht mehr von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden, tragen Patienten die Kosten für eine Misteltherapie normalerweise selbst. Wobei es für die Kostenübernahme bei der Misteltherapie bei weit fortgeschrittener Erkrankung Ausnahmen gibt.


Wolfgang Doerfler, Facharzt für Neurologie und Arzt für Naturheilverfahren am Tumorzentrum München © privat