Tumorkonferenz Mit gebündeltem Wissen mehr erreichen
Was ist eine Tumorkonferenz?
Prof. Dr. Jochen Wedemeyer: Onkologische Erkrankungen sind oftmals sehr komplex. Je nach Tumorart und -stadium sind die Behandlungsmöglichkeiten nicht immer eindeutig. Daher müssen Ärzte aller Fachrichtungen darüber beraten, welche Behandlungsstrategie die beste für den Patienten ist – in einer interdisziplinären Tumorkonferenz.
Führt das zu einer besseren Behandlungsqualität?
Prof. Wedemeyer: Ja. Das gilt vor allem für fortgeschrittene Tumorstadien und schwer behandelbare Tumorarten. Mehrere Ärzte bündeln ihre Erfahrungen und formulieren so eine Therapieempfehlung.
Bieten alle Kliniken eine Tumorkonferenz an?
Prof. Wedemeyer: Nein. Und deshalb lautet die Empfehlung: Patienten mit fortgeschrittenen oder komplexen Krebserkrankungen sollten sich in einer Klinik behandeln lassen, die eine interdisziplinäre Tumorkonferenz anbietet. Sie ist das Qualitätsmaß einer Klinik und gilt im Übrigen auch als Voraussetzung für die Zertifizierung durch die Deutsche Krebsgesellschaft.
Große Kliniken, Universitätskliniken und Krebszentren verfügen in der Regel über Tumorkonferenzen. Denn dort finden sich alle notwendigen Fachrichtungen unter einem Dach.
Über was sprechen die Ärzte bei einer Tumorkonferenz?
Prof. Wedemeyer: Sie analysieren jeden einzelnen Erkrankungsfall. Sie tauschen ihre Erfahrungen aus, diskutieren die mögliche Diagnostik-, Therapie- und Nachsorgestrategie. Auch werden alle Befunde der beteiligten Fachdisziplinen besprochen. Dazu zählen beispielsweise die Besonderheiten von Gewebeproben der Pathologen. Die Bilder der Computertomographie oder der Magnetresonanztomographie werden von den Röntgenärzten detailliert erläutert und gegebenenfalls mit den Onkologen und Strahlentherapeuten diskutiert.
Werden Patienten mit einbezogen?
Prof. Wedemeyer: Ja, das wird immer mehr zum Standard. Der Patient kann so zum Beispiel die Therapiestrategie besser an seinen Bedürfnissen und körperlichen Möglichkeiten ausrichten. Das allerdings nur, wenn es da Spielräume gibt. Natürlich muss immer auch die emotionale Belastung des Patienten berücksichtigt werden. Bei schwerer Erkrankung mit schlechter Prognose würde eine Teilnahme des Patienten wohl wenig Sinn machen.
Werden alle Erkrankungsfälle in der Tumorkonferenz besprochen?
Prof. Wedemeyer: Im Vergleich zu früher sind viele Krebsarten heutzutage zwar sehr gut behandelbar. Dennoch handelt es sich immer noch um eine sehr ernste Erkrankung. Somit werden konsequenterweise sämtliche Erkrankungsfälle im Rahmen einer Tumorkonferenz besprochen. Klar ist aber auch, dass frühe Stadien, die eindeutig nach Leitlinie behandelt werden, nicht so intensiv besprochen werden müssen wie späte Stadien oder etwa ein grundsätzlich schwer zu behandelnder Tumor.
Welchen Einfluss haben die Leitlinien bei der Konferenz?
Prof. Wedemeyer: Der Begriff Leitlinie sagt es bereits: Man lässt sich leiten und hat dabei entsprechende Spielräume. Die Empfehlungen aus der Tumorkonferenz basieren somit auf nationalen und auch internationalen Leitlinien. Einfluss auf die Therapiestrategie haben zudem neueste wissenschaftliche Entwicklungen, Forschungsergebnisse und Studien.
Nichtsdestotrotz kann in bestimmten Situationen von den Leitlinienien abgewichen werden. Dies passiert immer dann, wenn die Beteiligten des Tumorboards gemeinsam der Meinung sind, dass es für einen Patienten zum Beispiel aufgrund seines Alters oder bestimmter Lebensumstände von Vorteil ist, besser von diesen Leitlinien abzuweichen. Nur so gelingt es natürlich auch, jedem einzelnen Patienten gerecht zu werden.
Wie oft erfolgt eine Tumorkonferenz?
Prof. Wedemeyer: Die Häufigkeit hängt natürlich vom Stadium, dem Zustand des Patienten und von der Tumorart ab. Durchschnittlich erfolgt eine Tumorkonferenz etwa alle sieben bis zehn Tage. Ist der Patient nicht beteiligt, erfährt er direkt im Anschluss an die Tumorkonferenz von den Beschlüssen. In der Regel geschieht dies im Rahmen eines ausführlichen Gesprächs mit dem behandelnden Onkologen.
Wie läuft die erste Tumorkonferenz ab?
Prof. Wedemeyer: Einer der behandelnden Mediziner stellt seinen beteiligten Kollegen die aktuelle Krankheitssituation sowie die Krankengeschichte des Patienten vor.
Der Radiologe zeigt und analysiert die Bilder der Computer-, Kernspintomographie oder Positronenemissionstomographie, je nachdem, welche bildgebenden Verfahren genutzt wurden. Der Pathologe informiert über die molekularen Eigenschaften des Tumors. Der Chirurg beurteilt, ob eine Operation durchführbar und sinnvoll ist. Der Strahlentherapeut schätzt die Sinnhaftigkeit einer Strahlentherapie ein, während der Onkologe die Möglichkeiten einer Chemotherapie, zielgerichteten Therapie oder Immuntherapie bewertet.
Abschließend diskutieren alle über die beste Therapiestrategie zu diesem Zeitpunkt.
Tumorboard gibt Zweitmeinung ab
Die Onkologie ist komplex – und so sind auch die Therapiemöglichkeiten. Beispiel Prostatakrebs: Als Behandlungsoption kommt unter anderem eine Operation infrage, die in einigen Fällen u.a. Erektionsstörungen verursachen kann, oder aber eine aktive Überwachung, bei der sich Betroffene regelmäßig untersuchen lassen. Was für den einzelnen Patienten nun die richtige Behandlung ist, ist oftmals nicht leicht zu entscheiden. Hier kann eine ärztliche Zweitmeinung sinnvoll sein.
Die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) hat ein Pilotprojekt zur Zweitmeinung für Patienten mit Prostata- und Darmkrebs auf dem Zweitmeinungsportal der HMO AG gestartet.
Das Besondere: Jeder Zweitmeinungsfall wird im Rahmen des Projektes von einer Tumorkonferenz an einem der 140 DKG-zertifizierten Darm- und 40 Prostatakrebszentren besprochen. Betroffene haben die Wahl zwischen der Beurteilung ihres Falls nach Aktenlage oder nach einer zusätzlichen persönlichen Vorstellung an einem zertifizierten Zentrum.
Da noch nicht alle Krankenkassen die Kosten für eine onkologische Zweitmeinung erstatten, sollten sich Patienten vorab bei der jeweiligen Kasse schlau machen. Interessierte, die im Rahmen des DKG-Pilotprojektes eine Zweitmeinung von einem Tumorboard erhalten möchten, finden bei der Deutschen Krebsgesellschaft zudem weitere Informationen.
Von Angelina Gromes, deutsche Krebsgesellschaft